Difference between revisions of "Künstlers Erdenwallen"
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+ | Berlin, 10. Januar 1834 Gottfried Schadow</big> <br> | ||
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+ | Im Verlage des Hrn. L. Sachse & Comp. erscheint so eben unter dem Titel KÜNSTLERS ERDENWALLEN (2) ein Heft von sieben Blättern mit Feder-Zeichnungen von A. Menzel, einem jungen Manne von 17 Jahren. (3) | ||
+ | Im Künstler-Vereine vorgelegt, haben dieselben allgemeine Bewunderung und Vergnügen erregt. Selten wohl wird in diesem frühen Alter eine so geistvolle Art, die Erscheinung der Phantasie mit einer solchen Sicherheit hinzustellen, angetroffen. Dem Carricatur-Genre sich nähernd, sieht man jetzt mehrere junge Künstler gelungene Entwürfe machen; aber hier ist ein, der wirklichen Natur abgesehener Künstler-Blick, edel und gemein im Wechsel, wie sie erscheint. Der Titel ist eine Arabesken-Einfassung und von einer buchstäblichen Erklärung begleitet. <br> | ||
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+ | D<big>as erste Blatt</big>, das eben so wie die vier folgenden aus zwei Parallel-Bildern besteht, stellt das Beginnen des Erdenwallens dar. Das eine Bild trägt die Unterschrift: <big>KEIM</big>. | ||
+ | Ein kleiner Knabe hat den Fußboden mit Strichen bemalt (freie Hand-Zeichnung); der Vater im Schurzfelle hat ihn gepackt und deutet mit der Ruthe darauf; der Knabe erwartet in Angst die Züchtigung. (4) Unten ein aus der Puppe gekrochener Schmetterling zwischen den beiden Fangklappen. (5) Der Pendant mit der Unterschrift: <big>TRIEB</big> zeigt eine Schuster-Werkstatt mit allem Handwerkszeuge, nach der Kenntniß des Faches genau angegeben. Die Glaskugel in der Mitte beleuchtet eine Büste im General-Kostüme, und der Zeichner sitzt vor ihr, im Schuster-Kostüme; die Wand-Uhr zeigt Glock Eins, wahrscheinlich zur Nacht. Emblem darunter: eine Flasche in Explosion — der Propfen en lair. <br> | ||
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+ | <big>Das zweite Blatt</big> zeigt mit der Unterschrift: <big>ZWANG</big>, dieselbe Werkstatt, mit einer Durchsicht nach der Küche, wo eine Köchin mit der Kelle, und ein Alter mit aufgerollten Papieren solche für den Heerd abzuliefern scheint; um die Arbeitsbank sitzen drei Burschen vom Metier, der Eine in vollem Pfriemen, unser Held, in stillem Hinbrüten, und ein Kamerad hinter ihm de bonne humeur. (6) Emblem unten: der Knieriemen zwischen zerrissenen Zeichnungen. Der Pendant dazu mit der Unterschrift: <big>FREIHEIT</big> ist die Aussicht auf ein Theilchen Dach, an welches eine Leiter von unten auf lehnt; es kriecht ein Jüngling aus der Dachluke; ein kurzer Stab mit einem Bündel, enthaltend das omnia secum portans, sind die Mittel seines Fortkommens. Emblem unten sind ein Pilger Hut, ein Stab, mit zerbrochenen Ketten und Halseisen, dem Beobachter zur beliebigen Erklärung überlassen. <br> | ||
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+ | <big>Das dritte Blatt</big> hat erstlich die Unterschrift: <big>SCHULE</big>; dies ist die Gipsklasse — also ist schon manche Übung vorausgegangen. (7) Der Kopf des Laokoon wird nachgezeichnet; der Professor zeigt mit dem Stifte des Nasenloches bedeutende Schwingung; ein Elegant dahinter scheint von unseres Jünglings (8) Zeichnung frappirt; das Emblem darunter ist eine Perücke auf dem Stocke und eine Schnecke. Es ist schwer zu erklären, denn in jener Perrücken-Zeit ging es im Zeichnen gar flink. Der Pendant hat die Unterschrift: <big>SELBSTKAMPF</big>. Der Jüngling im Blousen-Kostüm vor seiner Staffelei, verdrüßlich nachdenkend. Der Vater, im Herausgehen, als Besuchender, spricht die letzten Warnungen. Emblem: Der junge Baum ist vom Baum-Pfahle losgerissen, womit sich Alles ausspricht. <br> | ||
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+ | <big>Das vierte Blatt</big> hat auf der einen Seite die Unterschrift <big>LIEBE</big>. Dieses mußte romantisch gegeben werden und ist solches gar artig gelungen. Ahnung einer gothischen Kirche, im Rahmen die Mater dolorosa, vor dem Altere knieend das süddeutsche Mädchen mit Rosenkranz, hinter ihr der Jüngling im altdeutschen Kostüm, aufmerkend wie je. Emblem: Das mit einem Pfeile durchstochene Herz, und zum Pendant mit der Unterschrift <big>LUFTSCHLÖSSER</big>, das Liebes-Paar in vertraulicher Gruppirung beim Spinnrade neben der alten Mutter; in den Kostümen keine Poesie, es geht zurück in die Prosa; unten aber ist als Emblem der Cupido, Seifenblasen in die Luft sendend, worin kleine Liebes-Götter sich spiegeln; dies ist vielleicht die am wenigsten gelungene Vorstellung.<br> | ||
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+ | <big>Auf dem fünften Blatte</big> scheint das erste Bild von dem Goethesehen Künstlers Erdenwallen inspirirt zu seyn; denn man sieht die häßliche Frau, welche portraitirt wird, den Mops im Schoße; den großnasigen Elegant mit dem geschorenen Hunde, und im Neben-Zimmer die Frau und die Kinder. Das Emblem ist: Eine Hexe, die dem Schwan die Flügel beschneidet; das Motto: <big>WIRKLICHKEIT.</big><br> | ||
+ | Die zweite Scene auf demselben Blatte macht einen Zeitsprung von 7 Jahren, wie man an den Kindern sieht, die um so viel gewachsen sind, auch sind deren drei: Knieend jammert die Mutter; das Töchterchen verbirgt seinen Schmerz; den älteren Sohn (9) berührt die segnende Hand des Vaters, dessen leichen-ähnlicher Körper hiermit die letzten Spuren seines beseelenden Geistes leise zu erkennen giebt. Die Umgebung und Bekleidung bezeichnet nicht Mangel und Brodnoth. Emblem: Die drei Parzen, und Motto: <big>ENDE</big>. <br> | ||
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+ | <big>Das sechste Blatt</big> mit dem Motto <big>NACHRUHM</big> ist gleichsam ein Triumphzug. Der Ort kann eine Fürstliche Gemälde-Gallerie seyn; man sieht an dem einen Ende Staffelei und Palette, und an dem anderen den Geld einsackenden Bilder-Händler; (10) das Wunder-Gemälde des Entschlafenden steht aufgerichtet in goldenem Rahmen; der Inhalt ist Belisar und sein bettelnder Knabe mit dem Helme; (11) der wohlgenährte und elegante Erklärer mit einem Bunde Schlüssel, müßte doch wohl der Custos seyn. Die vornehmsten Figuren sind so dünn gerathen, daß sie nur der Zehen bedürfen, um sich zu tragen; gleicher Art ist das Bürschchen in der Blouse, (12) hinter welchem der alte Herr zu bemerken ist, der was Hohes redet, wie sein gehobener Arm beweist, (13) und wozu der Schnurrbart die Parallele macht. Die Brille hält der Alte im Rücken. Das durch die Hand guckende Wesen scheint ein altdeutsches Genie zu seyn. Noch sieht man einen Rücken in englisirter Fußbekleidung, der aus einem Geldbeutel mehr hervorsucht. Ein scharfsinniger Kopf mag den auf der kleinen Staffelei angefangenen, hinten ausschlagenden Esel erklären und erläutern, das Emblem ist: ein Grabhügel und Lorbeerkranz, ein umgestürzter Baum und eine untergehende Sonne. — <br> | ||
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+ | Gelingt es einer solchen trefflichen Phantasie, mit dieser Leichtigkeit alle Geheimnisse des Clair-Obscur, der Farben, der Formen, der Rundung, durch Ausdauer zu erlangen und fertig das hinzustellen, was hier entworfen ist, denn die Natur ist keine Skizze, so entsteht — ein Meister in der Kunst. <br> | ||
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+ | Dies wird darum gesagt, weil ähnliche Jünglinge, hingerissen von dem Reize Entwürfe zu machen, dem mühsamen und langen Anhalten zu Vollendung einzelner Theile, sich nicht hingeben wollten und es dahin kam, daß sie auch nicht mehr — es vermochten. <br> | ||
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+ | Berlin, 10. Januar 1834 Gottfried Schadow <br> | ||
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Revision as of 14:21, 12 January 2020
Künstlers Erdenwallen. Passion für Pinsel und Palette. Nach/mit Worten von J.W.v.Goethe und Szenenbildern von A.v.Menzel, von Achim Lipp, 1982
Begleitbüchlein zur Ausstellung Menzel der Beobachter in der Hamburger Kunsthalle 1982
"Ich kannte wohl die Goethesche Dichtung, d.h., sie hatte mich stets angewidert." (Menzel, die Kleine Majestät)
Und hier die ganze Geschichte:
Berlin, 10. Januar 1834 Gottfried Schadow
Kunst-Nachrichten (1)
Im Verlage des Hrn. L. Sachse & Comp. erscheint so eben unter dem Titel KÜNSTLERS ERDENWALLEN (2) ein Heft von sieben Blättern mit Feder-Zeichnungen von A. Menzel, einem jungen Manne von 17 Jahren. (3)
Im Künstler-Vereine vorgelegt, haben dieselben allgemeine Bewunderung und Vergnügen erregt. Selten wohl wird in diesem frühen Alter eine so geistvolle Art, die Erscheinung der Phantasie mit einer solchen Sicherheit hinzustellen, angetroffen. Dem Carricatur-Genre sich nähernd, sieht man jetzt mehrere junge Künstler gelungene Entwürfe machen; aber hier ist ein, der wirklichen Natur abgesehener Künstler-Blick, edel und gemein im Wechsel, wie sie erscheint. Der Titel ist eine Arabesken-Einfassung und von einer buchstäblichen Erklärung begleitet.
Das erste Blatt, das eben so wie die vier folgenden aus zwei Parallel-Bildern besteht, stellt das Beginnen des Erdenwallens dar. Das eine Bild trägt die Unterschrift: KEIM.
Ein kleiner Knabe hat den Fußboden mit Strichen bemalt (freie Hand-Zeichnung); der Vater im Schurzfelle hat ihn gepackt und deutet mit der Ruthe darauf; der Knabe erwartet in Angst die Züchtigung. (4) Unten ein aus der Puppe gekrochener Schmetterling zwischen den beiden Fangklappen. (5) Der Pendant mit der Unterschrift: TRIEB zeigt eine Schuster-Werkstatt mit allem Handwerkszeuge, nach der Kenntniß des Faches genau angegeben. Die Glaskugel in der Mitte beleuchtet eine Büste im General-Kostüme, und der Zeichner sitzt vor ihr, im Schuster-Kostüme; die Wand-Uhr zeigt Glock Eins, wahrscheinlich zur Nacht. Emblem darunter: eine Flasche in Explosion — der Propfen en lair.
Das zweite Blatt zeigt mit der Unterschrift: ZWANG, dieselbe Werkstatt, mit einer Durchsicht nach der Küche, wo eine Köchin mit der Kelle, und ein Alter mit aufgerollten Papieren solche für den Heerd abzuliefern scheint; um die Arbeitsbank sitzen drei Burschen vom Metier, der Eine in vollem Pfriemen, unser Held, in stillem Hinbrüten, und ein Kamerad hinter ihm de bonne humeur. (6) Emblem unten: der Knieriemen zwischen zerrissenen Zeichnungen. Der Pendant dazu mit der Unterschrift: FREIHEIT ist die Aussicht auf ein Theilchen Dach, an welches eine Leiter von unten auf lehnt; es kriecht ein Jüngling aus der Dachluke; ein kurzer Stab mit einem Bündel, enthaltend das omnia secum portans, sind die Mittel seines Fortkommens. Emblem unten sind ein Pilger Hut, ein Stab, mit zerbrochenen Ketten und Halseisen, dem Beobachter zur beliebigen Erklärung überlassen.
Das dritte Blatt hat erstlich die Unterschrift: SCHULE; dies ist die Gipsklasse — also ist schon manche Übung vorausgegangen. (7) Der Kopf des Laokoon wird nachgezeichnet; der Professor zeigt mit dem Stifte des Nasenloches bedeutende Schwingung; ein Elegant dahinter scheint von unseres Jünglings (8) Zeichnung frappirt; das Emblem darunter ist eine Perücke auf dem Stocke und eine Schnecke. Es ist schwer zu erklären, denn in jener Perrücken-Zeit ging es im Zeichnen gar flink. Der Pendant hat die Unterschrift: SELBSTKAMPF. Der Jüngling im Blousen-Kostüm vor seiner Staffelei, verdrüßlich nachdenkend. Der Vater, im Herausgehen, als Besuchender, spricht die letzten Warnungen. Emblem: Der junge Baum ist vom Baum-Pfahle losgerissen, womit sich Alles ausspricht.
Das vierte Blatt hat auf der einen Seite die Unterschrift LIEBE. Dieses mußte romantisch gegeben werden und ist solches gar artig gelungen. Ahnung einer gothischen Kirche, im Rahmen die Mater dolorosa, vor dem Altere knieend das süddeutsche Mädchen mit Rosenkranz, hinter ihr der Jüngling im altdeutschen Kostüm, aufmerkend wie je. Emblem: Das mit einem Pfeile durchstochene Herz, und zum Pendant mit der Unterschrift LUFTSCHLÖSSER, das Liebes-Paar in vertraulicher Gruppirung beim Spinnrade neben der alten Mutter; in den Kostümen keine Poesie, es geht zurück in die Prosa; unten aber ist als Emblem der Cupido, Seifenblasen in die Luft sendend, worin kleine Liebes-Götter sich spiegeln; dies ist vielleicht die am wenigsten gelungene Vorstellung.
Auf dem fünften Blatte scheint das erste Bild von dem Goethesehen Künstlers Erdenwallen inspirirt zu seyn; denn man sieht die häßliche Frau, welche portraitirt wird, den Mops im Schoße; den großnasigen Elegant mit dem geschorenen Hunde, und im Neben-Zimmer die Frau und die Kinder. Das Emblem ist: Eine Hexe, die dem Schwan die Flügel beschneidet; das Motto: WIRKLICHKEIT.
Die zweite Scene auf demselben Blatte macht einen Zeitsprung von 7 Jahren, wie man an den Kindern sieht, die um so viel gewachsen sind, auch sind deren drei: Knieend jammert die Mutter; das Töchterchen verbirgt seinen Schmerz; den älteren Sohn (9) berührt die segnende Hand des Vaters, dessen leichen-ähnlicher Körper hiermit die letzten Spuren seines beseelenden Geistes leise zu erkennen giebt. Die Umgebung und Bekleidung bezeichnet nicht Mangel und Brodnoth. Emblem: Die drei Parzen, und Motto: ENDE.
Das sechste Blatt mit dem Motto NACHRUHM ist gleichsam ein Triumphzug. Der Ort kann eine Fürstliche Gemälde-Gallerie seyn; man sieht an dem einen Ende Staffelei und Palette, und an dem anderen den Geld einsackenden Bilder-Händler; (10) das Wunder-Gemälde des Entschlafenden steht aufgerichtet in goldenem Rahmen; der Inhalt ist Belisar und sein bettelnder Knabe mit dem Helme; (11) der wohlgenährte und elegante Erklärer mit einem Bunde Schlüssel, müßte doch wohl der Custos seyn. Die vornehmsten Figuren sind so dünn gerathen, daß sie nur der Zehen bedürfen, um sich zu tragen; gleicher Art ist das Bürschchen in der Blouse, (12) hinter welchem der alte Herr zu bemerken ist, der was Hohes redet, wie sein gehobener Arm beweist, (13) und wozu der Schnurrbart die Parallele macht. Die Brille hält der Alte im Rücken. Das durch die Hand guckende Wesen scheint ein altdeutsches Genie zu seyn. Noch sieht man einen Rücken in englisirter Fußbekleidung, der aus einem Geldbeutel mehr hervorsucht. Ein scharfsinniger Kopf mag den auf der kleinen Staffelei angefangenen, hinten ausschlagenden Esel erklären und erläutern, das Emblem ist: ein Grabhügel und Lorbeerkranz, ein umgestürzter Baum und eine untergehende Sonne. —
Gelingt es einer solchen trefflichen Phantasie, mit dieser Leichtigkeit alle Geheimnisse des Clair-Obscur, der Farben, der Formen, der Rundung, durch Ausdauer zu erlangen und fertig das hinzustellen, was hier entworfen ist, denn die Natur ist keine Skizze, so entsteht — ein Meister in der Kunst.
Dies wird darum gesagt, weil ähnliche Jünglinge, hingerissen von dem Reize Entwürfe zu machen, dem mühsamen und langen Anhalten zu Vollendung einzelner Theile, sich nicht hingeben wollten und es dahin kam, daß sie auch nicht mehr — es vermochten.
Berlin, 10. Januar 1834 Gottfried Schadow
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