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Revision as of 18:20, 25 November 2019

Ausstellung und Zeitung in der Hamburger Kunsthalle 1981

siehe link Art Network

Faule Bilder?

Kunst-Bilder haben das Laufen nicht gelernt. Sie kommen auch nicht ins Haus- etwa per Steckdose. Die hängen still und starr an der Wand, in Lebensgröße, in der Hamburger Kunsthalle so an die 1000 Stück: Für viele, nicht für alle, Menschen mit entwöhnten Körpern eine Zumutung - Beine, die nicht laufen, Augen die nicht sehen wollen.

Kunst-Bilder sind Spezialanfertigungen, eben nicht dem alltäglichen Lebensprozeß entrissen und „herausgerettet“. Die ausgetretene Stiege, der abgeschlürfte Goldrand, nicht nur vielen, uns allen vertraut ... den Bildern fehlt´s, denn Hinschauen tut nicht weh.

Kunst-Bilder lassen sich schwer in den Griff bekommen und hassen den erhobenen Zeigefinger.

Sie lieben ihresgleichen, sie lieben die abgetretene Stiege, den abgeschlürften Goldrand, die weggeworfene Zeitung, die umgestürzte Säule.

Sie lieben die beziehungsreiche Nachbarschaft, das unvermutete Nebeneinander. Da werden sie gesprächig, fast ohne ABC, spielerisch.

Kunst-Bilder brauchen Vorstellungskraft‚nicht nur die ihres Schöpfers. Sie freuen sich über jede Tür, die aufgerissen wird, über jeden Blick, der sich eröffnet, und Wink, den wir ihr geben.

Kunst-Bilder haben es in sich!
Und bei fortschreitender Betrachtung kann man sich des Gefühls nicht erwehren, allmählich würden die Bilder mehr einen selbst beobachten als umgekehrt. Und man fängt an, sich selber zuzusehen.

Kurze Einführung. Das Prinzip

BILDER-BRÜCKEN

Unter diesem Titel werden mit Besuchern der Kunsthalle Gesprächsrunden durchgeführt.

Besonderes Anliegen dieser Gespräche ist es, im Zusammenhang mit der Betrachtung von Kunstwerken Erfindungskraft und Eigentätigkeit der Betrachter anzuregen.

Im Mittelpunkt des Gesprächs steht jeweils ein Bilderpaar.

Der kunstgeschichtliche Zusammenhang spielt eine nur untergeordnete Rolle. Entscheidend ist, daß verknüpft wird, was scheinbar nicht zu vereinbaren ist, einander aber doch nicht ausschließt.

So wird der Phantasie des Betrachters eine Fülle von Möglichkeiten gegeben, sich zwischen dem Bilderpaar vermittelnd einzuhaken.

Widerspruch und Übereinstimmung finden ASSOZIATIONEN ihren Ausdruck, die sich augenblicklich einstellen, verstellt man ihnen nicht den Weg.

In der zeichnerischen Umsetzung der ASSOZIATIONSKETTEN entwerfen die Teilnehmer BILDER - BRÜCKEN.

Diese spannen sich zwischen den beiden Dialogpartnern, den Kunstwerken, und verweisen auf eine Vielzahl von Zugängen zu ihnen:

anschaulich, mit Bildern aus dem Alltagsleben, vom Betrachter dazuerfunden und aufgezeichnet.

Blick in die Ausstellung

Blick in die Zeitung

Bilderbrücke Uecker-Palmezzano

...und so wirds gemacht: eine Einladung an die Schulen:

Achim Lipp schrieb im Februar 1978 für MUSAIK, Informationen des Museumspädagogischen Dienstes Hamburg:

„Bilder-Brücken" - Schüler sehen Kunstwerke assoziativ.


Die Eigenbetätigung der Schüler im Rahmen der „Gespräche mit Schülern in Hamburger Museen" konnte bei einer Reihe von Themen in verschiedenen Häusern mit Erfolg verwirklicht werden. Auch in der Kunsthalle können jetzt Selbsttätigkeit und Eigeninitiative der Schüler „vor Ort“ stärker einbezogen und zum Ausdruck gebracht werden.

Die Entwicklung zielgerichteter Schüleraktivität im Umgang mit Kunstwerken vor allem der Gegenwart stößt jedoch auf eine ganz besondere Schwierigkeit: Die ausgestellten Bilder und Objekte verlangen ein Höchstmaß von Unterscheidungskraft, Sachkenntnis und Urteilsvermögen, sollen sie im gewohnten Sinne Selbsttätigkeit und praktische Erkenntnis auslösen und fördern - eine Voraussetzung, die bei Schülern nur in Ausnahmefällen erwartet werden kann.

Aus diesem Grunde bietet die Kunsthalle nun, neben den bewährten Themen, Museumsgespräche an, die auf die besonderen Bedingungen zeitgenössischer Kunst und ihrer Aufnahme durch ein jugendliches Publikum verstärkt eingehen: Dem oft kaum wahrnehmbaren Kunstcharakter zeitgenössischer Kunstwerke und ihren nur schwer eindeutig auffindbaren Sinnbezügen wird das spontane Verhalten der Schüler gegenübergestellt, das mit Bildern und Worten den unmittelbaren Zugang zu diesen vieldeutiges Erscheinungen sucht. Assoziationen markieren dabei die Angelpunkte, an denen die Fantasie der Schüler sich einhaken konnte.

Damit die spielerischen Bild- und Wortschöpfungen Aufgrund des Augeneindrucks sich nicht im Unverbindlichen und Beliebigen verlieren, erhält das „Aktionsfeld" zwei „Pole", zwischen denen sich die Vorstellungskraft der Schüler entfalten kann: Im Mittelpunkt der Gesprächsrunde stehen je zwei ausgewählte Kunstwerke, die aus der Fülle des Museumsbestandes herausgezogen und im neu eingerichteten Demonstrationskabinett zu sehen sind. Neben dem zeitgenössischen findet sich jeweils ein traditionelles Kunstwerk. Der Eindruck scheinbarer Unvereinbarkeit dieser zwei Werke, die kaum ein kunsthistorisches Band verbindet, wird jedoch schnell widerlegt. Die unterschiedlichsten Assoziationen beginnen sich zwischen den beiden Werken zu entwickeln und als tertium comparationis Bezüge zwischen ihnen herzustellen. Sie liefern das Baumaterial für Assoziationsketten, die aus an der Wandtafel gesammelten Bild- und Wortvorstellungen zu knüpfen sind.

In der Phase der praktischen Arbeit werden die einzelnen Brückenglieder von den Schülern mit dem Zeichenstift bildnerisch erfasst und anschließend an der Stecktafel zwischen den beiden Kunstwerken gruppiert. Die verschiedenen Bilderbrücken spannen sich nun zwischen den beiden „ungleichen Brüdern" und bieten den Betrachtern die Möglichkeit, mit den Augen die Begehbarkeit der einzelnen Brücken vom einen zum anderen zu überprüfen und sich des vielgestaltigen Zugangs zu den Kunstwerken zu versichern: So werden die Kunstwerke mit der eigenen Erfahrung verbunden, und das ermöglicht eine vielleicht bisher ungekannte Art, ihnen zu begegnen.

Das Arbeitsgespräch mit den Schülern „vor Ort" findet nach eingehender Absprache mit dem Lehrer statt, wobei vor allem die Auswahl der Kunstbeispiele getroffen und eine Reihe von Brücken-Themen erläutert wird.

Im ersten Zyklus der „Bilder-Brücken“ werden u. a. folgende Kunstwerkpaare angeboten:
Uecker: Nagelbild (1970) - Palmezzano: Der heilige Sebastian (um 1500)

 (anzuknüpfen z. B. bei: Nagel/Pfeil als Symbol der Marter, der Zerstörung; Strukturelement mit Bewegungsrichtung; Handwerkszeug; Nacktheit als künstlerisches Thema etc.)
Cage: Plexigramm (1969) - Giordano:Antiker Philosoph (um 1700)
(anzuknüpfen z. B. bei: Buch als Objekt; konkrete Poesie; Schrift und Zeichen; Darstellung philosophischer Erkenntnis; Einsatz von Farbe; Zufall als Bildmittel; Handschrift des Künstlers; Rolle des Betrachters etc.)
Rot: Wurstsonnenaufgang (1969) - Schooten: Frühstücksstilleben (um 1630)
(anzuknüpfen z. B. bei: Stillleben - Kunst der Satten? Prozesskunst - der Wirklichkeit hinzufügen oder ihr wegnehmen? Verfremdung als Bildmittel; Bedeutung von Bildtiteln: Kunst für alle Zeit? Rolle des Künstlers etc.)

Echo

HANNS THEODOR FLEMMING schreibt am 22. Mai 1981 im Hamburger Abendblatt: 

"Kreuzwege und Bilderbrücken“: Ein museumspädagogisches Experiment.
Sebastian mit den Nägeln

Mit seiner Ausstellung unter dem Titel „Kreuzwege und Bilderbrücken“, die bis zum 21. Juni im Demonstrationsraum der Hamburger Kunsthalle stattfindet, versucht der Museumspädagoge Achim Lipp, neue Formen der Aktivierung des Bildbetrachters zu entwickeln. Ausgangspunkt seines Unternehmens ist eine Gegenüberstellung von zwei gegensätzlichen und doch in ihrem Symbolgehalt seltsam korrespondierenden Werken aus dem Besitz der Kunsthalle, die miteinander konfrontiert werden und dadurch im Betrachter verschiedenartige Assoziationen und schöpferische Aktionen auslösen sollen.

Dabei handelt es sich einmal um eine Darstellung des von Pfeilen durchbohrten Heiligen Sebastian des aus Forli stammenden italienischen Renaissancemalers Marco Palmezzano aus dem Jahre 1493 und zum anderen um das Nagelbild „Aggressive Reihung" des Düsseldorfer Künstlers Günther Uecker, das aus einem Raster von Nägeln besteht, die von hinten durch die Leinwand eines Bildträgers geschlagen wurden und sich mit ihren scharfen Spitzen gegen den Betrachter richten. Der Martertod des an eine Säule gefesselten Heiligen und das zeitgenössische Nagelbild von Uecker veranschaulichen jeweils „Perforationen" auf ganz verschiedene Weise. Das Feld, das sich zwischen beiden Extremen spannt, nennt Lipp "Bilderbrücke".

Seine jugendlichen Museumsbesucher hat er nun in seinen Kursen angesichts beider Werke aufgefordert, „das Bild zu erfinden, das dazwischen passen würde". Mit anderen Worten: die Assoziationen, Verbindungen und Kreuzwege zu schildern, die in ihnen bei Betrachtung des von Pfeilen durchbohrten Jünglingskörpers und des Nagelbretts mit den spitzen Nägeln, das an eine Fakirliege erinnert, ausgelöst werden.

Das Ergebnis von achtzig Schülerzeichnungen wird in der Ausstellung in Vergrößerungen und Umkehrungen von Schwarz auf Weiß in Weiß auf Schwarz an einer Wand vor Augen geführt, während an der gegenüberliegenden Seite auf einer großen Schiefertafel die Kommentare angeschrieben sind, die die Schüler zu ihren Arbeiten gaben.

Im Mittelpunkt des Demonstrationsraumes steht eine Litfaßsäule, an der eine ganze Reihe von Sebastiansbildern aus der italienischen Renaissance in vergrößerten Reproduktionen angeschlagen ist, und zwar ausnahmslos Darstellungen schöner Jünglinge, die ihr Martyrium mit erstaunlicher Anmut und Grave gelassen erleiden.

Um einen aktuellen Bezug herzustellen, hat man auf zwei weiteren Schautafeln zwischen siebzig Sebastiansbildern von der Renaissance bis zur Gegenwart zehn Pressefotos von heutigen Hinrichtungen in Mozambique, Biafra, Vietnam und Brasilien eingestreut, die zumTeil ebenso überraschende wie bestürzende Parallelen einer ritualisierten Grausamkeit aufweisen, aber auch den heute so oft übersehenen Gegensatz zwischen Kunst und Wirklichkeit verdeutlichen.

„Die Entfaltung von Kreativität und Förderung der Selbständigkeit im Zusammenhang mit der Betrachtung von Kunstwerken haben sich als wichtige Ziele museumspädagogischer Arbeit erwiesen", erklärt Achim Lipp. Seine Methode der Assoziationsfindung und der damit verbundenen Lösung von Angst und Aggression in selbstgefundenen Bildern erscheint als ein bemerkenswerter museumspädagogischer Versuch - nicht immer ganz überzeugend, doch voll Einfühlung und guten Willens.



PETER-KLAUS SCHUSTER, damals Volontär an der Hamburger Kunsthalle, später Generaldirektor der Berliner Staatlichen Museen, schrieb in Hamburgs Museen, Ausgabe Juni/Juli/August 1981:

Kreuzwege und Bilderbrücken

Die museumspädagogische Abteilung der Hamburger Kunsthalle gibt einen Einblick in ihre Arbeit mit Schülern: "Kreuzwege und Bilderbrücken oder Wie man sich Kunst aneignen kann".
Diese Ausstellung ist bis 21. Juni zu sehen.

Welche Beziehung besteht zwischen dem Renaissancegemälde eines gemarterten Sebastian und einer von Nägeln durchbohrten Leinwand von Günther Uecker? Diese Frage stellte Achim Lipp, Museumspädagoge der Kunsthalle, den zahlreichen Teilnehmern seiner "Schülergespräche im Museum". Die Absicht war dabei, durch die Gegenüberstellung von Kunstwerken, die anscheinend nichts miteinander zu tun haben und zudem durch mehrere Jahrhunderte voneinander getrennt sind, die Erfindungskraft der jugendlichen Betrachter zu provozieren.

Der Schmerz des von Pfeilen durchbohrten Heiligen und die Verletzung der Leinwand durch Nägel wurde von den Schülern zu neuen Bildern kombiniert. Frappierend in ihrem Einfallsreichtum, sind diese von den Schülern gezeichneten "Bilderbrücken" zugleich bestürzende Dokumente jugendlicher Erfahrung von Gewalt. An die Stelle des leidenden Heiligen rücken die Schüler den Nagelkünstler, den anonymen Museumsbesucher oder sich selbst. In diesen Zeichnungen, die in der Ausstellung durch photomechanische Umkehrung verfremdet und damit zu autonomen Bildern perfektioniert sind, wird die Kunstbetrachtung der Schüler zum Ausgangspunkt der Gestaltung ihres persönlichen Erlebens von Agression und Schmerz.

Die Ausstellung konfrontiert diesen zu riesigen "Schmerzenstafeln" gefügten Schülerbekenntnissen das Bildrepertoire der Gewalt in der Kunst. So wird das Thema der "Sebastiansmarter" seit dem 15. Jahrhundert bis in die Gegenwart ausgebreitet. Eingestreut in diesen Bilderbogen sind Pressefotos von Folterungen. Solche Bilder sind uns — und auch den Schülern — aus den Medien nur allzu vertraut. Von daher bilden die von den Schülern erfundenen "Bilderbrücken" zwischen zwei Kunstwerken zugleich "Kreuzwege", auf denen sich die Bilder der Kunst und die der Wirklichkeit treffen.

Abb.:

-Marco Palmezzano: Das Martyrium des heiligen Sebastian, am 1500. Auch in der Darstellung des edlen Schmerzes typisch für die italienische Renaissance.

-Günther Uecker: Agressive Reihung, 1970. In immer gleichen Abständen sind 74 Reihen mit jeweils 74 Nägeln durch die Leinwand getrieben, mit den Spitzen zum Betrachter.

-Eine Schülerin des Gymnasiums Sinstorf zeichnet einen nageldurchbohrten Menschen — wie auf der Flucht vor dem aggressiven Bild.

Bilderbrücken - Bildassoziationen

Auswahl aus Hunderten von spontan angefertigten Bildentwürfen.

Lipp: "Es muss nicht perfekt sein, könnte für einen Künstler als Anregung dienen. Die Idee soll man erkennen können. Das Bild könnte man dann zwischen die beiden hängen,die wir uns genauer angesehen haben, und andere könnten die Verbindung sehen, die ihr erkannt habt."

Blick in die Schreibstuben

Bilderpaare

Rot - Hainz

Cage - Giordano

Uecker - Palmezzano

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