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Künstlers Erdenwallen

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Contents

Künstlers Erdenwallen. Passion für Pinsel und Palette. Nach/mit Worten von J.W.v.Goethe und Szenenbildern von A.v.Menzel, von Achim Lipp, 1982

Begleitbüchlein zur Ausstellung Menzel der Beobachter in der Hamburger Kunsthalle 1982


     

"Ich kannte wohl die Goethesche Dichtung, d.h., sie hatte mich stets angewidert." (Menzel, die Kleine Majestät)

Und hier die ganze Geschichte:


Berlin, 10. Januar 1834 Gottfried Schadow

Kunst-Nachrichten (1)

Im Verlage des Hrn. L. Sachse & Comp. erscheint so eben unter dem Titel KÜNSTLERS ERDENWALLEN (2) ein Heft von sieben Blättern mit Feder-Zeichnungen von A. Menzel, einem jungen Manne von 17 Jahren. (3) Im Künstler-Vereine vorgelegt, haben dieselben allgemeine Bewunderung und Vergnügen erregt. Selten wohl wird in diesem frühen Alter eine so geistvolle Art, die Erscheinung der Phantasie mit einer solchen Sicherheit hinzustellen, angetroffen. Dem Carricatur-Genre sich nähernd, sieht man jetzt mehrere junge Künstler gelungene Entwürfe machen; aber hier ist ein, der wirklichen Natur abgesehener Künstler-Blick, edel und gemein im Wechsel, wie sie erscheint. Der Titel ist eine Arabesken-Einfassung und von einer buchstäblichen Erklärung begleitet.

Das erste Blatt, das eben so wie die vier folgenden aus zwei Parallel-Bildern besteht, stellt das Beginnen des Erdenwallens dar. Das eine Bild trägt die Unterschrift: KEIM. Ein kleiner Knabe hat den Fußboden mit Strichen bemalt (freie Hand-Zeichnung); der Vater im Schurzfelle hat ihn gepackt und deutet mit der Ruthe darauf; der Knabe erwartet in Angst die Züchtigung. (4) Unten ein aus der Puppe gekrochener Schmetterling zwischen den beiden Fangklappen. (5) Der Pendant mit der Unterschrift: TRIEB zeigt eine Schuster-Werkstatt mit allem Handwerkszeuge, nach der Kenntniß des Faches genau angegeben. Die Glaskugel in der Mitte beleuchtet eine Büste im General-Kostüme, und der Zeichner sitzt vor ihr, im Schuster-Kostüme; die Wand-Uhr zeigt Glock Eins, wahrscheinlich zur Nacht. Emblem darunter: eine Flasche in Explosion — der Propfen en lair.

Das zweite Blatt zeigt mit der Unterschrift: ZWANG, dieselbe Werkstatt, mit einer Durchsicht nach der Küche, wo eine Köchin mit der Kelle, und ein Alter mit aufgerollten Papieren solche für den Heerd abzuliefern scheint; um die Arbeitsbank sitzen drei Burschen vom Metier, der Eine in vollem Pfriemen, unser Held, in stillem Hinbrüten, und ein Kamerad hinter ihm de bonne humeur. (6) Emblem unten: der Knieriemen zwischen zerrissenen Zeichnungen. Der Pendant dazu mit der Unterschrift: FREIHEIT ist die Aussicht auf ein Theilchen Dach, an welches eine Leiter von unten auf lehnt; es kriecht ein Jüngling aus der Dachluke; ein kurzer Stab mit einem Bündel, enthaltend das omnia secum portans, sind die Mittel seines Fortkommens. Emblem unten sind ein Pilger Hut, ein Stab, mit zerbrochenen Ketten und Halseisen, dem Beobachter zur beliebigen Erklärung überlassen.

Das dritte Blatt hat erstlich die Unterschrift: SCHULE; dies ist die Gipsklasse — also ist schon manche Übung vorausgegangen. (7) Der Kopf des Laokoon wird nachgezeichnet; der Professor zeigt mit dem Stifte des Nasenloches bedeutende Schwingung; ein Elegant dahinter scheint von unseres Jünglings (8) Zeichnung frappirt; das Emblem darunter ist eine Perücke auf dem Stocke und eine Schnecke. Es ist schwer zu erklären, denn in jener Perrücken-Zeit ging es im Zeichnen gar flink. Der Pendant hat die Unterschrift: SELBSTKAMPF. Der Jüngling im Blousen-Kostüm vor seiner Staffelei, verdrüßlich nachdenkend. Der Vater, im Herausgehen, als Besuchender, spricht die letzten Warnungen. Emblem: Der junge Baum ist vom Baum-Pfahle losgerissen, womit sich Alles ausspricht.

Das vierte Blatt hat auf der einen Seite die Unterschrift LIEBE. Dieses mußte romantisch gegeben werden und ist solches gar artig gelungen. Ahnung einer gothischen Kirche, im Rahmen die Mater dolorosa, vor dem Altere knieend das süddeutsche Mädchen mit Rosenkranz, hinter ihr der Jüngling im altdeutschen Kostüm, aufmerkend wie je. Emblem: Das mit einem Pfeile durchstochene Herz, und zum Pendant mit der Unterschrift LUFTSCHLÖSSER, das Liebes-Paar in vertraulicher Gruppirung beim Spinnrade neben der alten Mutter; in den Kostümen keine Poesie, es geht zurück in die Prosa; unten aber ist als Emblem der Cupido, Seifenblasen in die Luft sendend, worin kleine Liebes-Götter sich spiegeln; dies ist vielleicht die am wenigsten gelungene Vorstellung.

Auf dem fünften Blatte scheint das erste Bild von dem Goethesehen Künstlers Erdenwallen inspirirt zu seyn; denn man sieht die häßliche Frau, welche portraitirt wird, den Mops im Schoße; den großnasigen Elegant mit dem geschorenen Hunde, und im Neben-Zimmer die Frau und die Kinder. Das Emblem ist: Eine Hexe, die dem Schwan die Flügel beschneidet; das Motto: WIRKLICHKEIT.
Die zweite Scene auf demselben Blatte macht einen Zeitsprung von 7 Jahren, wie man an den Kindern sieht, die um so viel gewachsen sind, auch sind deren drei: Knieend jammert die Mutter; das Töchterchen verbirgt seinen Schmerz; den älteren Sohn (9) berührt die segnende Hand des Vaters, dessen leichen-ähnlicher Körper hiermit die letzten Spuren seines beseelenden Geistes leise zu erkennen giebt. Die Umgebung und Bekleidung bezeichnet nicht Mangel und Brodnoth. Emblem: Die drei Parzen, und Motto: ENDE.

Das sechste Blatt mit dem Motto NACHRUHM ist gleichsam ein Triumphzug. Der Ort kann eine Fürstliche Gemälde-Gallerie seyn; man sieht an dem einen Ende Staffelei und Palette, und an dem anderen den Geld einsackenden Bilder-Händler; (10) das Wunder-Gemälde des Entschlafenden steht aufgerichtet in goldenem Rahmen; der Inhalt ist Belisar und sein bettelnder Knabe mit dem Helme; (11) der wohlgenährte und elegante Erklärer mit einem Bunde Schlüssel, müßte doch wohl der Custos seyn. Die vornehmsten Figuren sind so dünn gerathen, daß sie nur der Zehen bedürfen, um sich zu tragen; gleicher Art ist das Bürschchen in der Blouse, (12) hinter welchem der alte Herr zu bemerken ist, der was Hohes redet, wie sein gehobener Arm beweist, (13) und wozu der Schnurrbart die Parallele macht. Die Brille hält der Alte im Rücken. Das durch die Hand guckende Wesen scheint ein altdeutsches Genie zu seyn. Noch sieht man einen Rücken in englisirter Fußbekleidung, der aus einem Geldbeutel mehr hervorsucht. Ein scharfsinniger Kopf mag den auf der kleinen Staffelei angefangenen, hinten ausschlagenden Esel erklären und erläutern, das Emblem ist: ein Grabhügel und Lorbeerkranz, ein umgestürzter Baum und eine untergehende Sonne. —

Gelingt es einer solchen trefflichen Phantasie, mit dieser Leichtigkeit alle Geheimnisse des Clair-Obscur, der Farben, der Formen, der Rundung, durch Ausdauer zu erlangen und fertig das hinzustellen, was hier entworfen ist, denn die Natur ist keine Skizze, so entsteht — ein Meister in der Kunst.

Dies wird darum gesagt, weil ähnliche Jünglinge, hingerissen von dem Reize Entwürfe zu machen, dem mühsamen und langen Anhalten zu Vollendung einzelner Theile, sich nicht hingeben wollten und es dahin kam, daß sie auch nicht mehr — es vermochten.

Berlin, 10. Januar 1834 Gottfried Schadow


Anmerkungen von Achim Lipp, 1982

(1) Knapp drei Wochen nach Erscheinen von KÜNSTLERS ERDENWALLEN (1834) wird in den KUNSTNACHRICHTEN diese Besprechung veröffentlicht, verfaßt von Gottfried Schadow, dem 70jährigen Direktor der Berliner Akademie. Noch im Februar wird Menzel daraufhin in den Verein der jüngeren Künstler aufgenommen und steht von nun an mit im Vordergrund der Berliner Kunstszene. Rückblickend schreibt Menzel später: „Einstimmige Aufnahme in die Künstlerschaft — ich war in mein Element gelangt! und das Erhebendste mußte mir das auszeichnende Verhalten des alten Direktors Schadow, des Bildhauers sein, dieser (bei der Schonungslosigkeit seiner Urtheilsweise von den Kunstjüngern hoch gefürchtet) widmete aus eigener Bewegung, ohne mich persönlich zu kennen, meinem Opus ein vielsagendes öffentliches Wort."
(in: Pecht, Friedrich, Deutsche Künstler des neunzehnten Jahrhunderts, Zweite Reihe, Nördlingen 1887, S. 333)

(2)Von Menzel selber als erste eigene künstlerische Produktion bezeichnet (Pecht a.a.O., S. 331 f.). In einem Brief an seinen Händler Ludwig Fletsch vom 24. Dezember 1879 schreibt Menzel u. a.: „Zu »künstl. Erdenw.« hatte mir Sachse wie den Auftrag, so auch die Idee und den Plan für die einzelnen Darstellungen angegeben. Ich kannte wohl die Goethesche Dichtung, d. h. sie hatte mich stets angewidert. Nur aber weil es doch „etwas zu machen" war, ergriff ich die Sache mit Freude, obgleich S.'s Projekt, offenbar Reminiscenz des obigen mir innerlich auch fatal war. Ich habe auch später das Heft nicht gern ansehen mögen." (in: Wolff, H.: Adolph von Menzel, Briefe, Berlin 1914, S. 222) Ein Hinweis auf die Veränderung des Goetheschen Erdewallens in das Menzelsche Erdenwallen fehlt bislang.

(3) Menzel war 19, aber nicht erst 17 Jahre alt.

(4) Fünf Jahre später gibt es eine französisierte Version der Blätter KEIM und TRIEB. Dazu die Entdeckerin Lanckoroäska: „Weiterblätternd fand ich als Beilage der Augustnummer von 1839 einen alten Bekannten, der dennoch fremd anmutete, gleichsam nach der Mode eines anderen Landes gekleidet. Kein Zweifel, es war Menzels erste Zeichnung aus jener Folge, die unter dem Titel »Künstlers Erdenwallen« erschien, im übrigen sieh aber nicht auf Goethes gleichnamige Dichtung bezog."

(5) Die Vignetten, den Szenen quasi als Formelwerk beigegeben, finden sich im vorliegenden Heft, stark vergrößert, den jeweiligen Szenen gegenüber. In den Szenen selber finden sich ausschließlich Zitate aus dem Goetheschen Erdewallen.

(6) Schuster, bleib bei deinem Leisten! Diese Lebensweisheit haben zwei aus dieser Szene in den Wind geschlagen: nicht nur der junge Künstler, von dem man ja auch nichts anderes erwarten kann, sondern ebenso der Kamerad hinter ihm de bonne humeur; im Schlußbild treffen wir ihn wieder. Dort stoßen wir auch auf ein Porträt, dessen frühe Fassung auf den zerrissenen Zeichnungen in der Vignette zu erkennen ist.

(7) Vergl. dazu Hofmann, Werner, Bruchlinien. München 1979, S. 202 ff. Da werden u. a. die negativen Erfahrungen des 18jährigen Menzel im Umgang mit der Antike in einen umfassenden Zusammenhang mit seiner 1872 entstandenen Atelierwand gebracht. Menzels ausschöpfende Verarbeitung von Leitmotiven zeigt sich bereits im ERDENWALLEN, wie wir sehen werden.

(8) Daß Menzel sich selbst als Kunstjünger hinterm Zeichenbrett darstellte, mußte dem Rezensenten Schadow entgehen — schließlich kannte er ihn ja gar nicht. Erst 1905, dem Todesjahr Menzels, vollzog Tschudi die Identifikation: „Das Blatt, das in der Sammlung der Hochschule für bildende Kunst ein ziemlich unbeachtetes Dasein fristete, trägt den Stempel des »Vereins der »tigern Künstler in Berlin«. Die Unterschrift besagt, daß Menzel im Februar 1834 in diesen Verein aufgenommen wurde: es war wohl Sitte, daß die neuen Mitglieder ihr Porträt stifteten. Die Aufnahme war einstimmig erfolgt als Ehrung für die kurz zuvor erschienenen Lithographien zu »Künstlers Erdenwallen«, denen, wie bekannt, Schadow selbst eine lobende Besprechung widmete. Ich weiß nicht, ob schon bemerkt wurde, daß Menzel auf dem fünften Blatt dem jungen, in Verzweiflung vor seinem Bild sitzenden Künstler seine eigenen Züge lieh. Die Ähnlichkeit auf dem hier wiedergegebenen Originalentwurf, den die Nationalgalerie besitzt, mit dem Selbstbildnis ist überzeugend. Im übrigen bietet freilich Menzels Leben keinerlei Ähnlichkeit mit dem romantischen Schicksal des »Erdenwallers«." (Tschudi, Aus Menzels jungen Jahren, S. 217)
Dazu Werner Hofmann (a.a.O., S. 206): „Tschudi meint das sechste Blatt (»Selbstkampf«), doch ist seine Deutung auch für das fünfte gültig (»Schule«), das die Kunstjünger im Antikensaal der Akademie zeigt."

(9) Der ältere Sohn trägt die Züge des jungen Menzel — das zeigt der Vergleich mit SCHULE und dem von Tschudi benannten Selbstporträt, das mit in der MILCHSTRASSE funkelt — wer findet es? Bitte umblättern! Es sind die Züge des jungen Menzel, dessen Vater zwei Jahre zuvor unerwartet gestorben, dem dadurch u. a. die finanzielle Grundlage für ein ausgiebiges Studium genommen worden war — und zugleich sind es die Züge des jungen Menzel, der in die Künstlerrolle seiner Bildfolge geschlüpft ist, alle Stationen des Goetheschen Erdewallens durchläuft und entsprechend vorzeitig die Endstation erreicht, es sich allerdings nicht nehmen läßt, sich als erneut Heranwachsenden zum zweiten Mal mit aufs Bild zu bringen: Menzels trotzige Antwort auf das Goethische Erdewallen? Nicht ENDE und NACHRUHM, sondern ENDE und zugleich wieder Anfang, KEIM. ERDENWALLEN als Erdenwallen. Der Künstler ist tot, es lebe der Künstler!

(10) Menzel geht über Goethes Apotheose hinaus: Das unfertige Bild im Schatten des nachgelassenen Meisterwerks: künstlerische Produktion, anwesendes Erdenwallen, und der ausschlagende Esel kennzeichnet wohl deutlich das Verhältnis des Künstlers zu seinen „Nachlaßverwaltern", zu Interpreten, Käufern, Händlern. Am gegenüberliegenden Pol: klingende Münze, der Bilderhändler in Aktion — de bonne humeur. In der Werkstatt ZWANG haben beide es nicht ausgehalten. Der eine zog aus, um Kunst zu machen, der andere, um mit ihr zu handeln.

(11) Bei Goethe findet sich die VENUS URANIA auf dem Wundergemälde — es könnte einem da die VENUS von Botticelli in den Sinn kommen. Menzel dagegen präsentiert uns jenen römischen Feldherrn Belisar, hochjubelnd im Glück, niedergeschmettert im Unglück. Im Gegensatz zu einer Darstellung des Belisar durch J. L. David finden wir das Wundergemälde um Wolken bereichert, auf denen ein Herr mit Sense und eine Dame in Aktion sind: Chronos zerrt seine Tochter Veritas an die Wolkenrampe, die Wahrheit wird von der Zeit ans Licht geholt — gegen den Widerstand von Verleumdung, Neid und Zwietracht. Gerechtigkeit wird nicht nur dem zu Unrecht geblendeten Belisar widerfahren, sondern ebenso dem zu Unrecht während seines Erdenwallens gebeutelten Künstler. Wie gezielt Menzel auf die Kategorie ZEIT setzt, möge die Tatsache belegen, daß Chronos bereits auf zwei vorhergehenden Blättern auftaucht: ENDE zeigt ihn gemeinsam mit Veritas, wobei die Historie vom Lehnstuhl des Einschlafenden verdeckt, bzw. überdeckt ist, sodann ist er bereits auf der Vignette ZWANG porträtiert.

(12) Das Bürschchen hat exakt die Körpergröße Menzels, der über 140 cm nie hinausgekommen ist, er war von zwergenhaftem Wuchs.

(13) Das ist doch Goethe! Aber wieso spricht Schadow lediglich von einem alten Herrn, der was Hohes redet? Vielleicht aus Rache, Rache post mortem. Denn schließlich hat er ihn ja selber porträtiert, auch wenns über 18 Jahre her sind, hat eine Büste von Goethe angefertigt — mit keiner guten Resonanz allerdings. Dazu Mackowsky: „So hoch Schadow den Dichter stellte, so sehr verbat er sich den schulmeisterlichen Ton des Kunstrichters ... Fünfzehn Jahre vergingen, ehe die Sache sich ausglättete ... Schadow wollte keine bildhauerische Apotheose des Weimarer Jupiter geben, sondern den Goethe von 1816 in vornehm reservierter Festigkeit ... so hat er mit seinem Goethe, was sterblich an ihm war, vor der Vernichtung bewahrt." (in: Mackowsky, H.: „Schadows Büsten", in: Kunst und Künstler, Jg. VII, Berlin 1909, S. 269). Abguß in der Hamburger Kunsthalle.

J. W. v. Goethe: DES KÜNSTLERS ERDEWALLEN( 1773/74) - DES KÜNSTLERS VERGÖTTERUNG (1774) – KÜNSTLERS APOTHEOSE (1788)

DES KÜNSTLERS ERDEWALLEN

I.
Vor Sonnenaufgang

Der Künstler
vor der Staffelei, worauf das Bild einer dicken, häßlichen, kokett schielenden Frau gestellt ist.



Ich will nicht! Ich kann nicht!
Das schändliche, verzerrte Gesicht!

Soll ich so verderben den himmlischen Morgen?
Da sie noch schlafen all meine lieben Sorgen!
Gutes Weib! Köstliche Kleinen!

Er stellt das Bild ab und tritt ans Fenster

Aurora, wie neukräftig liegt die Erd’ um dich!
Und dieses Herz fühlt wieder jugendlich,
Und dies Auge wie selig, dir entgegenzuweinen!

Er stellt das Bild der Venus Urania auf.

Meine Göttin, deiner Gegenwart Blick

Uberdrängt mich wie erstes Jugendglück,

Die ich in Seel’ und Sinn, himmlische Gestalt,

Dich umfasse mit Bräutigams Gewalt.

Wo mein Pinsel dich berührt, bist du mein,
Du bist ich, bist mehr als ich, ich bin dein,
Uranfängliche Schönheit, Königin der Welt!

Und ich soll dich lassen für feiles Geld —

Dem Toren lassen, der am bunten Tand

Sich weidet, an einer scheckigen Wand . . .
Meine Kinder! — Göttin, du wirst sie letzen,
Du gehst in eines Reichen Haus,
Ihn in Kontribution zu setzen,
Und ich trag’ ihnen Brot heraus.

Und er besitzt dich nicht, er hat dich nur,
Du wohnst bei mir, Urquell der Natur,
Leben und Freude der Kreatur!

In dir versunken

Fühl’ ich mich selig an allen Sinnen trunken.




Ein Kind schreit


Ä! ä!




Der Künstler


Lieber Gott.


Frau erwacht

’s ist schon Tag!


Lieber, geh doch, schlag


Mir Feuer, leg’ Holz an, stell Wasser bei,

Daß ich dem Kindel koch den Brei.




Künstler am Bilde einen Blick weilend

Meine Göttin!




Ältester Knabe springt barfuß auf

Lieber Pappe! Ich helfe dich!


Künstler



Wie lang?




Knab



Was?




Künstler



Bring klein Holz in die Küch’!


II. Höher am Tag




Künstler

Wer klopft so gewaltig? Fritzel, schau!


Knab


Es ist der Herr mit der dicken Frau!


Künstler



Da muß ich tun, als hätt’ ich gemalt.


Er stellt das garstige Bild wieder auf.




Frau



Mach’s nur, es wird ja wohl bezahlt.




Künstler



Das tut’s ihm.


Der Herr und Madame treten auf



Herr



Da kommen wir ja zurecht.




Madame



Hab heut geschlafen gar zu schlecht.




Frau



O, die Madame sind immer schön.




Herr



Darf man die Stück’ in der Eck’ besehn?


Künstler



Sie machen sich staubig.


(zu Madame:) Belieben sich niederzulassen.




Herr zur Staffelei tretend

Sie müssen sie recht im Geiste fassen.


Es ist wohl gut, doch so noch nicht,

Daß es einen vom Tuch anspricht.




Künstler vor sich

Es ist auch darnach ein Angesicht.




Herr eins der bestaubten Gemälde aufhebend

Ist das Ihr eigen Bildnis hier?


Künstler


Vor zehen Jahren glich es mir.




Herr



Es gleicht noch ziemlich.


Madame einen flüchtigen Blick drüber hinwerfend

O, gar sehr!


Herr



Sie haben jetzt gar viel Runzeln mehr.


Frau mit einem Korbe, heimlich

Gib mir Geld, ich muß auf den Markt!




Künstler



Ich hab’ nichts.




Frau



Dafür kauft man ein’ Quark.




Künstler gibt ihr

Da.




Herr

Aber Ihre Manier ist jetzt größer.




Künstler



Das ein’ wird schlimmer, das andre besser.




Herr hinter dem Künstler

So, so! Da an dem Nasenbug!

Und die Augen sind nicht feurig gnug.




Künstler vor sich

O weh! Das mag der Teufel ertragen!


Die Muse ungesehen den andern tritt zu ihm

Mein Sohn, fängst jetzt an zu verzagen?

liebt nicht ein jeder Mensch sein Joch?

Ist sie garstig, bezahlt sie doch!

Und laß den Kerl tadeln und schwätzen

Hast Zeit genug, dich zu ergötzen

An dir selbst und an jedem Bild,

Das liebevoll aus deinem Pinsel quillt.

Wer muß eine Zeitlang hacken und graben,

Der wird die Ruh' erst willkommen haben.

Der Himmel kann einen auch verwöhnen.

Daß man sich tut nach der Erde sehnen.

Dir schmeckt das Essen, Lieb' und Schlaf.

Und bist nicht reich, so bist du brav.

DES KÜNSTLERS VERGÖTTERUNG

Stellt eine Gemäldegalerie vor, wo unter andern das Bild der

Venus Urania in einer breiten goldnen Rahme wohlgefirnißt

aufgehängt ist. Ein junger Maler sitzt davor und zeichnet, der

Meister mit andern steht hinter dem Stuhle. Der Jünger steht auf.


Jünger

Hier leg ich, teurer Meister, meinen Pinsel nieder.

Nimmer. nimmer wag' ich es wieder,

diese Fülle, dieses unendliche Leben

Mit dürftigen Strichen wiederzugeben.

Ich stehe beschämt. Widerwillens voll,

Wie vor 'ner Last ein Mann,

Die er tragen soll

Und nicht heben kann.


Meister

Heil deinem Gefühl. Jüngling, ich weihe dich ein

Vor diesem heiligen Bilde! Du wirst Meister sein!

Das starke Gefühl, wie größer dieser ist,

Zeigt, daß dein Geist seinesgleichen ist.


Jünger

Ganz. heil'ger Genius, versink' ich vor dir.


Meister

Und der Mann war ein Mensch wie wir,

Und an der Menschheit zugeteilten Plagen

Hatte er weit schwerer als wir zu tragen.


Jünger

O, warum sah ich sein Angesicht,

Hört' seiner Lippe Rede nicht!

Du Glücklicher kanntest ihn?


Meister

Ja. mein Sohn.

Ich war noch jung, er nahte schon

Dem Grabe. Ich werd' ihn nie vergessen.

Wie oft hab' ich zitternd vor ihm da gesessen

Voll von heißest Verlangen,

Jedes Wort von seinen Lippen zu fangen,

Und, wenn er schwieg, an seinem Auge gehangen.


KÜNSTLERS APOTHEOSE

Es wird eine prächtige Gemäldegalerie vorgestellt. Die Bilder

aller Schulen hängen in breiten goldenen Rahmen. Es gehen

mehrere Personen auf und ab. An einer Seite sitzt ein Schüler

und ist beschäftigt, ein Bild zu kopieren.


Schüler

(indem er aufsteht, Palette und Pinsel auf den Stuhl legt und dahinter tritt)

Da sitz' ich hier schon Tage lang.

Mir wird's so schwül, mir wird's so bang.

Ich male zu und streiche zu

Und sehe kaum mehr, was ich tu'.

Gezeichnet ist es durchs Quadrat;

Die Farben, nach des Meisters Rat,

so gut mein Aug' sie sehen mag,

Ahm' ich nach meinem Muster nach;

Und wenn ich dann nicht weiter kann.

Steh' ich wie ein genestelter Mann

Und sehe hin und sehe her,

Als ob's getan mit Sehen wär';

Ich stehe hinter meinem Stuhl

Und schwitze wie ein Schwefelpfuhl —

Und dennoch wird zu meiner Qual

Nie die Kopie Original.

Was dort ein freies Leben hat.

Das ist hier trocken, steif und matt;

Was reizend sitzt und steht und geht,

Ist hier gewunden und gedreht;

Was dort durchsichtig glänzt und glüht,

Hier wie ein alter Topf aussieht;

Und überall es mir gebricht

Als nur am guten Willen nicht,

Und bin nur eben mehr gequält.

Daß ich recht sehe, was mir fehlt.


Ein Meister (tritt hinzu)

Mein Sohn, des hast du wohl gemacht,

Mit Fleiß das Bild zustand gebracht!

Du siehst, wie wahr ich stets gesagt:

Je mehr als sich ein Künstler plagt,

Je mehr er sich zum Fleiße zwingt,

Um desto mehr es ihm gelingt.

Drum übe dich nur Tag für Tag,

Und du wirst sehn, was das vermag!

Dadurch wird jeder Zweck erreicht,

Dadurch wird manches Schwere leicht,

Und nach und nach kommt der Verstand

Unmittelbar dir in die Hand.


Schüler

Ihr seid zu gut und sagt mir nicht,

Was alles diesem Bild gebricht.


Meister

Ich sehe nur mit Freuden an,

Was du, mein Sohn, bisher getan.

Ich weiß, daß du dich selber treibst,

Nicht gern auf einer Stufe bleibst.

Will hier und da noch was gebrechen

Wollen wir's ein andermal besprechen.

(Entfernt sich.)


Schüler (das Bild ansehend)

Ich habe weder Ruh noch Rast,

Bis ich die Kunst erst recht gefaßt.


Ein Liebhaber (tritt zu ihm)

Mein Herr, mir ist verwunderlich,

Daß Sie hier Ihre Zeit verschwenden

Und auf dem rechten Wege sich

Schnurstracks an die Natur nicht wenden:

Denn die Natur ist aller Meister Meister!

Sie zeigt uns erst den Geist der Geister,

Läßt uns den Geist der Körper sehn,

Lehrt jedes Geheimnis uns verstehn.

Ich bitte, lassen Sie sich raten!

Was hilft es, immer fremden Taten

Mit größter Sorgfalt nachzugehn?

Sie sind nicht auf der rechten Spur;

Natur, mein Herr! Natur! Natur!


Schüler

Man hat es mir schon oft gesagt.

Ich habe kühn mich dran gewagt;

Es war mir stets ein großes Fest.

Auch ist mir dies und jen's geglückt;

Doch öfters ward ich mit Protest,

Mit Scham und Schande weggeschickt.

Kaum wag' ich es ein andermal;

Es ist nur Zeit, die man verliert:

Die Blätter sind zu kolossal,

Und ihre Schrift gar seltsam abbreviert.


Liebhaber (sich wegwendend)

Nun seh' ich schon das Wo und Wie;

Der gute Mensch hat kein Genie!


Schüler (sich niedersetzend)

Mich dünkt, noch hab' ich nicht getan;

Ich muß ein andermal noch dran.


Ein zweiter Meister

(tritt zu ihm, sieht seine Arbeit an und wendet sich um,

ohne etwas zu sagen)


Schüler

Ich bitt' Euch, geht so stumm nicht fort

Und sagt mir wenigstens ein Wort.

Ich weiß, Ihr seid ein kluger Mann,

Ihr könntet meinen Wunsch am allerersten stillen.

Verdien' ich's nicht durch alles, was ich kann,

Verdien' ich's wenigsten durch meinen guten Willen.


Meister

Ich sehe, was du tust, was du getan,

Bewundernd halb und halb voll Mitleid an.

Du scheinst zum Künstler mir geboren.

Hast weislich keine Zeit verloren:

Du fühlst die tiefe Leidenschaft,

Mit frohem Aug' die herrlichen Gestalten

Der schönen Welt begierig fest zu halten:

Du hast die angeborne Kraft,

Mit schneller Hand bequem dich auszudrücken:

Es glückt dir schon und wird noch besser glücken,

Allein.


Schüler

Verhehlt mir nichts!


Meister

Allein du übst die Hand.

Du übst den Blick, nun üb' auch den Verstand.

Dem glücklichsten Genie wird's kaum einmal gelingen,

Sich durch Natur und durch Instinkt allein

Zum Ungemeinen aufzuschwingen:

Die Kunst bleibt Kunst! Wer sie nicht durchgedacht,

Der darf sich keinen Künstler nennen:

Hier hilft das Tappen nichts; eh' man was Gutes macht

Muß man es erst recht selbst erkennen.


Schüler

Ich weiß es wohl, man kann mit Aug' und Hand

An die Natur, an gute Meister gehen;

Allein, o Meister, der Verstand

Der übt sich nur mit Leuten, die verstehen.

Es ist nicht schön, für sich allein

Und nicht für andre mit zu sorgen:

Ihr könntet vielen nützlich sein,

Und warum bleibt Ihr so verborgen?


Meister

Man hat's bequemer heutzutag,

Als unter meine Zucht sich zu bequemen:

Das Lied, das ich so gerne singen mag,

Das mag nicht jeder gern vernehmen.


Schüler

O sagt mir nur, ob ich zu tadeln bin,

Daß ich mir diesen Mann zum Muster auserkoren?

(Er deutet auf das Bild, das er kopiert hat.)

Daß ich mich ganz in ihn verloren?

Ist es Verlust, ist es Gewinn?

Daß ich allein an ihm mich nur ergetze,

Ihn weit vor allen andern schätze,

Als gegenwärtig ihn und als lebendig liebe,

Mich stets nach ihm und seinen Werken übe?


Meister

Ich tadl' es nicht, weil er fürtrefflich ist;

Ich tadl' es nicht, weil du ein Jüngling bist:

Ein Jüngling muß die Flügel regen,

In Lieb' und Haß gewaltsam sich bewegen.

Der Mann ist vielfach groß, den du dir auserwählt,

Du kannst dich lang' an seinen Werken üben;

Nur lerne bald erkennen, was ihm fehlt:

Man muß die Kunst und nicht das Muster lieben.


Schüler

Ich sähe nimmer mich an seinen Bildern satt,

Wenn ich mich Tag für Tag damit beschäft´gen sollte.


Meister

Erkenne, Freund, was er geleistet hat,

Und dann erkenne, was er leisten wollte:

Dann wird er dir erst nützlich sein,

Du wirst nicht alles neben ihm vergessen.

Die Tugend wohnt in keinem Mann allein:

Die Kunst hat nie ein Mensch allein besessen.


Schüler

So redet nur auch mehr davon!


Meister

Ein andermal, mein lieber Sohn.


Galerie -Inspektor (tritt zu ihnen)

Der heutige Tag ist uns gesegnet!

O, welch ein schönes Glück begegnet!

Es wird ein neues Bild gebracht,

So köstlich, als ich keins gedacht.


Meister

Von wem?


Schüler

Sagt an, es ahnet mir.

(Auf das Bild zeigend, das er kopiert.)

Von diesem?


Inspektor

Ja, von diesem hier.


Schüler

Wird endlich doch mein Wünsch erfüllt!

Die heiße Sehnsucht wird gestillt!

Wo ist es? Laßt mich eilig gehn.


Inspektor

Ihr werdet's bald hier oben sehn.

So köstlich, als es ist gemalt,

So teuer hat's der Fürst bezahlt.


Gemaldehändler (tritt auf)

Nun kann die Galerie doch sagen,

Daß sie ein einzig Bild besitzt.

Man wird einmal in unsern Tagen

Erkennen, wie ein Fürst die Künste liebt und schützt.

Es wird sogleich heraufgetragen;

Es wird erstaunen, wer's erblickt.

Mir ist in meinem ganzen Leben

Noch nie ein solcher Fund geglückt.

Mich schmerzt es fast, es wegzugeben:

Das viele Gold, das ich begehrt,

Erreicht noch lange nicht den Wert.


(Man bringt das Bild der Venus Urania herein und setzt es auf eine Staffelei.)

Hier! wie es aus der Erbschaft kam,

Noch ohne Firnis, ohne Rahm.

Hier braucht es keine Kunst noch List,

Seht, wie es wohl erhalten ist!


(Alle versammeln sich davor.)


Erster Meister

Welch eine Praktik zeigt sich hier!


Zweiter Meister

Das Bild, wie ist es überdacht!


Schüler

Die Eingeweide brennen mir!


Liebhaber

Wie göttlich ist das Bild gemacht!


Händler

In seiner trefflichsten Manier.


Inspektor

Der goldne Rahm wird schon gebracht.

Geschwind herbei! geschwind herbei!

Der Prinz wird bald im Saale sein.


Das Bild wird in den Rahmen befestigt und wieder aufgestellt.


Der Prinz (tritt auf und besieht das Gemälde)

Das Bild hat einen großen Wert;

Empfanget hier, was Ihr begehrt.


Der Kassier (hebt den Beutel mit den Zechinen auf den Tisch und seufzet)


Händler (zum Kassier)

Ich prüfe sie erst durchs Gewicht.


Kassier (aufzählend)

Es steht bei Euch, doch zweifelt nicht!


Der Fürst steht vor dem Bilde, die andern in einiger Entfernung. Der Plafond eröffnet sich; die Muse, den Künstler an der Stand führend, auf einer Wolke.


Künstler

Wohin, o Freundin, führst du mich?


Muse

Sieh nieder und erkenne dich!

Dies ist der Schauplatz deiner Ehre.


Künstler

Ich fühle nur den Druck der Atmosphäre.


Muse

Sieh nur herab! Es ist ein Werk von dir,

Das jedes andre neben sich verdunkelt

Und zwischen vielen Sternen hier

Als wie ein Stern der ersten Größe funkelt.

Sieh, was dein Werk für einen Eindruck macht,

Das du in deinen reinsten Stunden

Aus deinem innern Selbst empfunden,

Mit Maß und Weisheit durchgedacht,

Mit stillem, neuem Fleiß vollbracht.

Sieh, wie noch selbst die Meister lernen!

Ein kluger Fürst, er steht entzückt.

Er fühlt sich im Besitz von diesem Schatz beglückt;

Er geht und kommt, und kann sich nicht entfernen.

Sieh diesen Jüngling, wie er glüht,

Da er auf deine Tafel sieht!

In seinem Auge glänzt das herzliche Verlangen,

Von deinem Geist den Einfluß zu empfangen.

So wirkt mit Macht der edle Mann

Jahrhunderte auf seinesgleichen:

Denn was ein guter Mensch erreichen kann,

Ist nicht im engen Raum des Lebens zu erreichen.

Drum lebt er auch nach seinem Tode fort

Und ist so wirksam, als er lebte:

Die gute Tat, das schöne Wort.

Es strebt unsterblich, wie er sterblich strebte.

so lebst auch du durch ungemeßne Zeit.

Genieße der Unsterblichkeit!


Künstler

Erkenn' ich doch, was mir im kurzen Leben

Zeus für ein schönes Glück gegeben,

Und was er mir in dieser Stunde schenkt!

Doch er vergebe mir, wenn dieser Blick mich kränkt.

Wie ein verliebter junger Mann

Unmöglich doch den Göttern danken kann

Wenn seine Liebste fern und eingeschlossen weint

Wer wagt es, ihn beglückt zu nennen?

Und wird er wohl sieh trösten können.

Weil eine Sonne ihn und sie bescheint?

So hab' ich stets entbehren müssen,

Was meinen Werken nun so reichlich widerfährt;

Was hilft's, o Freundin, mir, zu wissen,

Daß man mich nun bezahlet und verehrt?

O hätt' ich manchmal nur das Gold besessen,

Das diesen Rahm jetzt übermäßig schmückt!

Mit Weib und Kind mich herzlich satt zu essen,

War ich zufrieden und beglückt.

Ein Freund, der sich mit mir ergetzte.

Ein Fürst, der die Talente schaute.

Sie haben leider mir gefehlt;

Im Kloster fand ich dumpfe Gönner:

So hab' ich emsig, ohne Kenner

Und ohne Schüler mich gequält. —


(Hinab auf den Schüler deutend.)


Und willst du diesen jungen Mann,

Wie er's verdient, dereinst erheben,

So bitt' ich, ihm bei seinem Leben,

So lang' er selbst noch kau´n und küssen kann,

Das Nötige zur rechten Zeit zu geben!

Er fühle froh, daß ihn die Muse liebt,

Wenn leicht und still die frohen Tage fließen,

Die Ehre, die mich nun im Himmel selbst betrübt,

Laß ihn dereinst, wie mich, doch freudiger genießen!


(ENDE)


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