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→Und hier die ganze Geschichte:
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== Berlin, 10. Januar 1834 Gottfried Schadow</big> <br==>
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Kunst-Nachrichten (1)</big><br>
Im Verlage des Hrn. L. Sachse & Comp. erscheint so eben unter dem Titel <big>KÜNSTLERS ERDENWALLEN </big> (2) ein Heft von sieben Blättern mit Feder-Zeichnungen von A. Menzel, einem jungen Manne von 17 Jahren. (3)
Im Künstler-Vereine vorgelegt, haben dieselben allgemeine Bewunderung und Vergnügen erregt. Selten wohl wird in diesem frühen Alter eine so geistvolle Art, die Erscheinung der Phantasie mit einer solchen Sicherheit hinzustellen, angetroffen. Dem Carricatur-Genre sich nähernd, sieht man jetzt mehrere junge Künstler gelungene Entwürfe machen; aber hier ist ein, der wirklichen Natur abgesehener Künstler-Blick, edel und gemein im Wechsel, wie sie erscheint. Der Titel ist eine Arabesken-Einfassung und von einer buchstäblichen Erklärung begleitet. <br>
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== Anmerkungen von Achim Lipp, 1982 ==
(1) Knapp drei Wochen nach Erscheinen von KÜNSTLERS ERDENWALLEN (1834) wird in den KUNSTNACHRICHTEN diese Besprechung veröffentlicht, verfaßt von Gottfried Schadow, dem 70jährigen Direktor der Berliner Akademie. Noch im Februar wird Menzel daraufhin in den Verein der jüngeren Künstler aufgenommen und steht von nun an mit im Vordergrund der Berliner Kunstszene. Rückblickend schreibt Menzel später: „Einstimmige Aufnahme in die Künstlerschaft — ich war in mein Element gelangt! und das Erhebendste mußte mir das auszeichnende Verhalten des alten Direktors Schadow, des Bildhauers sein, dieser (bei der Schonungslosigkeit seiner Urtheilsweise von den Kunstjüngern hoch gefürchtet) widmete aus eigener Bewegung, ohne mich persönlich zu kennen, meinem Opus ein vielsagendes öffentliches Wort." <br>
(in: Pecht, Friedrich, Deutsche Künstler des neunzehnten Jahrhunderts, Zweite Reihe, Nördlingen 1887, S. 333) <br>
(2)Von Menzel selber als erste eigene künstlerische Produktion bezeichnet (Pecht a.a.O., S. 331 f.). In einem Brief an seinen Händler Ludwig Fletsch vom 24. Dezember 1879 schreibt Menzel u. a.: „Zu »künstl. Erdenw.« hatte mir Sachse wie den Auftrag, so auch die Idee und den Plan für die einzelnen Darstellungen angegeben. Ich kannte wohl die Goethesche Dichtung, d. h. sie hatte mich stets angewidert. Nur aber weil es doch „etwas zu machen" war, ergriff ich die Sache mit Freude, obgleich S.'s Projekt, offenbar Reminiscenz des obigen mir innerlich auch fatal war. Ich habe auch später das Heft nicht gern ansehen mögen." (in: Wolff, H.: Adolph von Menzel, Briefe, Berlin 1914, S. 222)
Ein Hinweis auf die Veränderung des Goetheschen Erdewallens in das Menzelsche Erdenwallen fehlt bislang.<br>
(3) Menzel war 19, aber nicht erst 17 Jahre alt. <br>
(4) Fünf Jahre später gibt es eine französisierte Version der Blätter KEIM und TRIEB. Dazu die Entdeckerin Lanckoroäska: „Weiterblätternd fand ich als Beilage der Augustnummer von 1839 einen alten Bekannten, der dennoch fremd anmutete, gleichsam nach der Mode eines anderen Landes gekleidet. Kein Zweifel, es war Menzels erste Zeichnung aus jener Folge, die unter dem Titel »Künstlers Erdenwallen« erschien, im übrigen sieh aber nicht auf Goethes gleichnamige Dichtung bezog." <br>
(5) Die Vignetten, den Szenen quasi als Formelwerk beigegeben, finden sich im vorliegenden Heft, stark vergrößert, den jeweiligen Szenen gegenüber. In den Szenen selber finden sich ausschließlich Zitate aus dem Goetheschen Erdewallen. <br>
(6) Schuster, bleib bei deinem Leisten! Diese Lebensweisheit haben zwei aus dieser Szene in den Wind geschlagen: nicht nur der junge Künstler, von dem man ja auch nichts anderes erwarten kann, sondern ebenso der Kamerad hinter ihm de bonne humeur; im Schlußbild treffen wir ihn wieder. Dort stoßen wir auch auf ein Porträt, dessen frühe Fassung auf den zerrissenen Zeichnungen in der Vignette zu erkennen ist. <br>
(7) Vergl. dazu Hofmann, Werner, Bruchlinien. München 1979, S. 202 ff. Da werden u. a. die negativen Erfahrungen des 18jährigen Menzel im Umgang mit der Antike in einen umfassenden Zusammenhang mit seiner 1872 entstandenen Atelierwand gebracht. Menzels ausschöpfende Verarbeitung von Leitmotiven zeigt sich bereits im ERDENWALLEN, wie wir sehen werden. <br>
(8) Daß Menzel sich selbst als Kunstjünger hinterm Zeichenbrett darstellte, mußte dem Rezensenten Schadow entgehen — schließlich kannte er ihn ja gar nicht. Erst 1905, dem Todesjahr Menzels, vollzog Tschudi die Identifikation: „Das Blatt, das in der Sammlung der Hochschule für bildende Kunst ein ziemlich unbeachtetes Dasein fristete, trägt den Stempel des »Vereins der »tigern Künstler in Berlin«. Die Unterschrift besagt, daß Menzel im Februar 1834 in diesen Verein aufgenommen wurde: es war wohl Sitte, daß die neuen Mitglieder ihr Porträt stifteten. Die Aufnahme war einstimmig erfolgt als Ehrung für die kurz zuvor erschienenen Lithographien zu »Künstlers Erdenwallen«, denen, wie bekannt, Schadow selbst eine lobende Besprechung widmete. Ich weiß nicht, ob schon bemerkt wurde, daß Menzel auf dem fünften Blatt dem jungen, in Verzweiflung vor seinem Bild sitzenden Künstler seine eigenen Züge lieh. Die Ähnlichkeit auf dem hier wiedergegebenen Originalentwurf, den die Nationalgalerie besitzt, mit dem Selbstbildnis ist überzeugend. Im übrigen bietet freilich Menzels Leben keinerlei Ähnlichkeit mit dem romantischen Schicksal des »Erdenwallers«." (Tschudi, Aus Menzels jungen Jahren, S. 217) <br>
Dazu Werner Hofmann (a.a.O., S. 206): „Tschudi meint das sechste Blatt (»Selbstkampf«), doch ist seine Deutung auch für das fünfte gültig (»Schule«), das die Kunstjünger im Antikensaal der Akademie zeigt." <br>
(9) Der ältere Sohn trägt die Züge des jungen Menzel — das zeigt der Vergleich mit SCHULE und dem von Tschudi benannten Selbstporträt, das mit in der MILCHSTRASSE funkelt — wer findet es? Bitte umblättern! Es sind die Züge des jungen Menzel, dessen Vater zwei Jahre zuvor unerwartet gestorben, dem dadurch u. a. die finanzielle Grundlage für ein ausgiebiges Studium genommen worden war — und zugleich sind es die Züge des jungen Menzel, der in die Künstlerrolle seiner Bildfolge geschlüpft ist, alle Stationen des Goetheschen Erdewallens durchläuft und entsprechend vorzeitig die Endstation erreicht, es sich allerdings nicht nehmen läßt, sich als erneut Heranwachsenden zum zweiten Mal mit aufs Bild zu bringen: Menzels trotzige Antwort auf das Goethische Erdewallen? Nicht ENDE und NACHRUHM, sondern ENDE und zugleich wieder Anfang, KEIM. ERDENWALLEN als Erdenwallen. Der Künstler ist tot, es lebe der Künstler! <br>
(10) Menzel geht über Goethes Apotheose hinaus: Das unfertige Bild im Schatten des nachgelassenen Meisterwerks: künstlerische Produktion, anwesendes Erdenwallen, und der ausschlagende Esel kennzeichnet wohl deutlich das Verhältnis des Künstlers zu seinen „Nachlaßverwaltern", zu Interpreten, Käufern, Händlern. Am gegenüberliegenden Pol: klingende Münze, der Bilderhändler in Aktion — de bonne humeur. In der Werkstatt ZWANG haben beide es nicht ausgehalten. Der eine zog aus, um Kunst zu machen, der andere, um mit ihr zu handeln. <br>
(11) Bei Goethe findet sich die VENUS URANIA auf dem Wundergemälde — es könnte einem da die VENUS von Botticelli in den Sinn kommen. Menzel dagegen präsentiert uns jenen römischen Feldherrn Belisar, hochjubelnd im Glück, niedergeschmettert im Unglück. Im Gegensatz zu einer Darstellung des Belisar durch J. L. David finden wir das Wundergemälde um Wolken bereichert, auf denen ein Herr mit Sense und eine Dame in Aktion sind: Chronos zerrt seine Tochter Veritas an die Wolkenrampe, die Wahrheit wird von der Zeit ans Licht geholt — gegen den Widerstand von Verleumdung, Neid und Zwietracht. Gerechtigkeit wird nicht nur dem zu Unrecht geblendeten Belisar widerfahren, sondern ebenso dem zu Unrecht während seines Erdenwallens gebeutelten Künstler. Wie gezielt Menzel auf die Kategorie ZEIT setzt, möge die Tatsache belegen, daß Chronos bereits auf zwei vorhergehenden Blättern auftaucht: ENDE zeigt ihn gemeinsam mit Veritas, wobei die Historie vom Lehnstuhl des Einschlafenden verdeckt, bzw. überdeckt ist, sodann ist er bereits auf der Vignette ZWANG porträtiert. <br>
(12) Das Bürschchen hat exakt die Körpergröße Menzels, der über 140 cm nie hinausgekommen ist, er war von zwergenhaftem Wuchs.<br>
(13) Das ist doch Goethe! Aber wieso spricht Schadow lediglich von einem alten Herrn, der was Hohes redet? Vielleicht aus Rache, Rache post mortem. Denn schließlich hat er ihn ja selber porträtiert, auch wenns über 18 Jahre her sind, hat eine Büste von Goethe angefertigt — mit keiner guten Resonanz allerdings. Dazu Mackowsky: „So hoch Schadow den Dichter stellte, so sehr verbat er sich den schulmeisterlichen Ton des Kunstrichters ... Fünfzehn Jahre vergingen, ehe die Sache sich ausglättete ... Schadow wollte keine bildhauerische Apotheose des Weimarer Jupiter geben, sondern den Goethe von 1816 in vornehm reservierter Festigkeit ... so hat er mit seinem Goethe, was sterblich an ihm war, vor der Vernichtung bewahrt." (in: Mackowsky, H.: „Schadows Büsten", in: Kunst und Künstler, Jg. VII, Berlin 1909, S. 269). Abguß in der Hamburger Kunsthalle.<br>