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Künstlers Erdenwallen

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Anmerkungen von Achim Lipp, 1982
(13) Das ist doch Goethe! Aber wieso spricht Schadow lediglich von einem alten Herrn, der was Hohes redet? Vielleicht aus Rache, Rache post mortem. Denn schließlich hat er ihn ja selber porträtiert, auch wenns über 18 Jahre her sind, hat eine Büste von Goethe angefertigt — mit keiner guten Resonanz allerdings. Dazu Mackowsky: „So hoch Schadow den Dichter stellte, so sehr verbat er sich den schulmeisterlichen Ton des Kunstrichters ... Fünfzehn Jahre vergingen, ehe die Sache sich ausglättete ... Schadow wollte keine bildhauerische Apotheose des Weimarer Jupiter geben, sondern den Goethe von 1816 in vornehm reservierter Festigkeit ... so hat er mit seinem Goethe, was sterblich an ihm war, vor der Vernichtung bewahrt." (in: Mackowsky, H.: „Schadows Büsten", in: Kunst und Künstler, Jg. VII, Berlin 1909, S. 269). Abguß in der Hamburger Kunsthalle.<br>
== J. W. v. Goethe: DES KÜNSTLERS ERDEWALLEN( 1773/74) - DES KÜNSTLERS VERGÖTTERUNG (1774) – KÜNSTLERS APOTHEOSE (1788) ==
 
 
I.
Vor Sonnenaufgang
 
Der Künstler
vor der Staffelei, worauf das Bild einer dicken, häßlichen,
kokett schielenden Frau gestellt ist.


Ich will nicht! Ich kann nicht!
Das schändliche, verzerrte Gesicht!

Soll ich so verderben den himmlischen Morgen?
Da sie noch schlafen all meine lieben Sorgen!
Gutes Weib! Köstliche Kleinen!
 
Er stellt das Bild ab und tritt ans Fenster
 
Aurora, wie neukräftig liegt die Erd’ um dich!
Und dieses Herz fühlt wieder jugendlich,
Und dies Auge wie selig, dir entgegenzuweinen!
 
Er stellt das Bild der Venus Urania auf.
 
Meine Göttin, deiner Gegenwart Blick

Uberdrängt mich wie erstes Jugendglück,

Die ich in Seel’ und Sinn, himmlische Gestalt,

Dich umfasse mit Bräutigams Gewalt.

Wo mein Pinsel dich berührt, bist du mein,
Du bist ich, bist mehr als ich, ich bin dein,
Uranfängliche Schönheit, Königin der Welt!

Und ich soll dich lassen für feiles Geld —

Dem Toren lassen, der am bunten Tand

Sich weidet, an einer scheckigen Wand . . .
Meine Kinder! — Göttin, du wirst sie letzen,
Du gehst in eines Reichen Haus,
Ihn in Kontribution zu setzen,
Und ich trag’ ihnen Brot heraus.

Und er besitzt dich nicht, er hat dich nur,
Du wohnst bei mir, Urquell der Natur,
Leben und Freude der Kreatur!

In dir versunken

Fühl’ ich mich selig an allen Sinnen trunken.


 
Ein Kind schreit


Ä! ä!


 
Der Künstler


Lieber Gott.
 
Frau erwacht
’s ist schon Tag!

Lieber, geh doch, schlag

Mir Feuer, leg’ Holz an, stell Wasser bei,
Daß ich dem Kindel koch den Brei.


 
Künstler am Bilde einen Blick weilend
Meine Göttin!


 
Ältester Knabe springt barfuß auf
Lieber Pappe! Ich helfe dich!
 
Künstler


Wie lang?


 
Knab


Was?


 
Künstler


Bring klein Holz in die Küch’!
 
 
II. Höher am Tag


 
Künstler


Wer klopft so gewaltig? Fritzel, schau!
 
Knab


Es ist der Herr mit der dicken Frau!
 
Künstler


Da muß ich tun, als hätt’ ich gemalt.

Er stellt das garstige Bild wieder auf.

 

Frau


Mach’s nur, es wird ja wohl bezahlt.


 
Künstler


Das tut’s ihm.
 
Der Herr und Madame treten auf


 
Herr


Da kommen wir ja zurecht.


 
Madame


Hab heut geschlafen gar zu schlecht.


 
Frau


O, die Madame sind immer schön.


 
Herr


Darf man die Stück’ in der Eck’ besehn?
 
Künstler


Sie machen sich staubig.

(zu Madame:) Belieben sich niederzulassen.


 
Herr zur Staffelei tretend
Sie müssen sie recht im Geiste fassen.

Es ist wohl gut, doch so noch nicht,
Daß es einen vom Tuch anspricht.


 
Künstler vor sich
Es ist auch darnach ein Angesicht.


 
Herr eins der bestaubten Gemälde aufhebend
Ist das Ihr eigen Bildnis hier?
 
Künstler

Vor zehen Jahren glich es mir.


 
Herr


Es gleicht noch ziemlich.
 
Madame einen flüchtigen Blick drüber hinwerfend
O, gar sehr!
 
Herr


Sie haben jetzt gar viel Runzeln mehr.
 
Frau mit einem Korbe, heimlich
Gib mir Geld, ich muß auf den Markt!


 
Künstler


Ich hab’ nichts.


 
Frau


Dafür kauft man ein’ Quark.


 
Künstler gibt ihr
Da.


 
Herr
Aber Ihre Manier ist jetzt größer.


 
Künstler


Das ein’ wird schlimmer, das andre besser.


 
Herr hinter dem Künstler
So, so! Da an dem Nasenbug!
Und die Augen sind nicht feurig gnug.


 
Künstler vor sich
O weh! Das mag der Teufel ertragen!
 
Die Muse ungesehen den andern tritt zu ihm
Mein Sohn, fängst jetzt an zu verzagen?
liebt nicht ein jeder Mensch sein Joch?
Ist sie garstig, bezahlt sie doch!
Und laß den Kerl tadeln und schwätzen
Hast Zeit genug, dich zu ergötzen
An dir selbst und an jedem Bild,
Das liebevoll aus deinem Pinsel quillt.
Wer muß eine Zeitlang hacken und graben,
Der wird die Ruh' erst willkommen haben.
Der Himmel kann einen auch verwöhnen.
Daß man sich tut nach der Erde sehnen.
Dir schmeckt das Essen, Lieb' und Schlaf.
Und bist nicht reich, so bist du brav.
 
 
DES KÜNSTLERS VERGÖTTERUNG
Stellt eine Gemäldegalerie vor, wo unter andern das Bild der
Venus Urania in einer breiten goldnen Rahme wohlgefirnißt
aufgehängt ist. Ein junger Maler sitzt davor und zeichnet, der
Meister mit andern steht hinter dem Stuhle. Der Jünger steht auf.
 
Jünger
Hier leg ich, teurer Meister, meinen Pinsel nieder.
Nimmer. nimmer wag' ich es wieder,
diese Fülle, dieses unendliche Leben
Mit dürftigen Strichen wiederzugeben.
Ich stehe beschämt. Widerwillens voll,
Wie vor 'ner Last ein Mann,
Die er tragen soll
Und nicht heben kann.
 
Meister
Heil deinem Gefühl. Jüngling, ich weihe dich ein
Vor diesem heiligen Bilde! Du wirst Meister sein!
Das starke Gefühl, wie größer dieser ist,
Zeigt, daß dein Geist seinesgleichen ist.
 
Jünger
Ganz. heil'ger Genius, versink' ich vor dir.
 
Meister
Und der Mann war ein Mensch wie wir,
Und an der Menschheit zugeteilten Plagen
Hatte er weit schwerer als wir zu tragen.
 
Jünger
O, warum sah ich sein Angesicht,
Hört' seiner Lippe Rede nicht!
Du Glücklicher kanntest ihn?
 
Meister
Ja. mein Sohn.
Ich war noch jung, er nahte schon
Dem Grabe. Ich werd' ihn nie vergessen.
Wie oft hab' ich zitternd vor ihm da gesessen
Voll von heißest Verlangen,
Jedes Wort von seinen Lippen zu fangen,
Und, wenn er schwieg, an seinem Auge gehangen.
 
 
KÜNSTLERS APOTHEOSE
Es wird eine prächtige Gemäldegalerie vorgestellt. Die Bilder
aller Schulen hängen in breiten goldenen Rahmen. Es gehen
mehrere Personen auf und ab. An einer Seite sitzt ein Schüler
und ist beschäftigt, ein Bild zu kopieren.
 
Schüler
(indem er aufsteht, Palette und Pinsel auf den Stuhl legt und
dahinter tritt)
Da sitz' ich hier schon Tage lang.
Mir wird's so schwül, mir wird's so bang.
Ich male zu und streiche zu
Und sehe kaum mehr, was ich tu'.
Gezeichnet ist es durchs Quadrat;
Die Farben, nach des Meisters Rat,
so gut mein Aug' sie sehen mag,
Ahm' ich nach meinem Muster nach;
Und wenn ich dann nicht weiter kann.
Steh' ich wie ein genestelter Mann
Und sehe hin und sehe her,
Als ob's getan mit Sehen wär';
Ich stehe hinter meinem Stuhl
Und schwitze wie ein Schwefelpfuhl —
Und dennoch wird zu meiner Qual
Nie die Kopie Original.
Was dort ein freies Leben hat.
Das ist hier trocken, steif und matt;
Was reizend sitzt und steht und geht,
Ist hier gewunden und gedreht;
Was dort durchsichtig glänzt und glüht,
Hier wie ein alter Topf aussieht;
Und überall es mir gebricht
Als nur am guten Willen nicht,
Und bin nur eben mehr gequält.
Daß ich recht sehe, was mir fehlt.
 
Ein Meister (tritt hinzu)
Mein Sohn, des hast du wohl gemacht,
Mit Fleiß das Bild zustand gebracht!
Du siehst, wie wahr ich stets gesagt:
Je mehr als sich ein Künstler plagt,
Je mehr er sich zum Fleiße zwingt,
Um desto mehr es ihm gelingt.
Drum übe dich nur Tag für Tag,
Und du wirst sehn, was das vermag!
Dadurch wird jeder Zweck erreicht,
Dadurch wird manches Schwere leicht,
Und nach und nach kommt der Verstand
Unmittelbar dir in die Hand.
 
Schüler
Ihr seid zu gut und sagt mir nicht,
Was alles diesem Bild gebricht.
 
Meister
Ich sehe nur mit Freuden an,
Was du, mein Sohn, bisher getan.
Ich weiß, daß du dich selber treibst,
Nicht gern auf einer Stufe bleibst.
Will hier und da noch was gebrechen
Wollen wir's ein andermal besprechen.
(Entfernt sich.)
 
Schüler (das Bild ansehend)
Ich habe weder Ruh noch Rast,
Bis ich die Kunst erst recht gefaßt.
 
Ein Liebhaber (tritt zu ihm)
Mein Herr, mir ist verwunderlich,
Daß Sie hier Ihre Zeit verschwenden
Und auf dem rechten Wege sich
Schnurstracks an die Natur nicht wenden:
Denn die Natur ist aller Meister Meister!
Sie zeigt uns erst den Geist der Geister,
Läßt uns den Geist der Körper sehn,
Lehrt jedes Geheimnis uns verstehn.
Ich bitte, lassen Sie sich raten!
Was hilft es, immer fremden Taten
Mit größter Sorgfalt nachzugehn?
Sie sind nicht auf der rechten Spur;
Natur, mein Herr! Natur! Natur!
 
Schüler
Man hat es mir schon oft gesagt.
Ich habe kühn mich dran gewagt;
Es war mir stets ein großes Fest.
Auch ist mir dies und jen's geglückt;
Doch öfters ward ich mit Protest,
Mit Scham und Schande weggeschickt.
Kaum wag' ich es ein andermal;
Es ist nur Zeit, die man verliert:
Die Blätter sind zu kolossal,
Und ihre Schrift gar seltsam abbreviert.
 
Liebhaber (sich wegwendend)
Nun seh' ich schon das Wo und Wie;
Der gute Mensch hat kein Genie!
 
Schüler (sich niedersetzend)
Mich dünkt, noch hab' ich nicht getan;
Ich muß ein andermal noch dran.
 
Ein zweiter Meister
(tritt zu ihm, sieht seine Arbeit an und wendet sich um,
ohne etwas zu sagen)
 
Schüler
Ich bitt' Euch, geht so stumm nicht fort
Und sagt mir wenigstens ein Wort.
Ich weiß, Ihr seid ein kluger Mann,
Ihr könntet meinen Wunsch am allerersten stillen.
Verdien' ich's nicht durch alles, was ich kann,
Verdien' ich's wenigsten durch meinen guten Willen.
 
Meister
Ich sehe, was du tust, was du getan,
Bewundernd halb und halb voll Mitleid an.
Du scheinst zum Künstler mir geboren.
Hast weislich keine Zeit verloren:
Du fühlst die tiefe Leidenschaft,
Mit frohem Aug' die herrlichen Gestalten
Der schönen Welt begierig fest zu halten:
Du hast die angeborne Kraft,
Mit schneller Hand bequem dich auszudrücken:
Es glückt dir schon und wird noch besser glücken,
Allein.
 
Schüler
Verhehlt mir nichts!
 
Meister
Allein du übst die Hand.
Du übst den Blick, nun üb' auch den Verstand.
Dem glücklichsten Genie wird's kaum einmal gelingen,
Sich durch Natur und durch Instinkt allein
Zum Ungemeinen aufzuschwingen:
Die Kunst bleibt Kunst! Wer sie nicht durchgedacht,
Der darf sich keinen Künstler nennen:
Hier hilft das Tappen nichts; eh' man was Gutes macht
Muß man es erst recht selbst erkennen.
 
Schüler
Ich weiß es wohl, man kann mit Aug' und Hand
An die Natur, an gute Meister gehen;
Allein, o Meister, der Verstand
Der übt sich nur mit Leuten, die verstehen.
Es ist nicht schön, für sich allein
Und nicht für andre mit zu sorgen:
Ihr könntet vielen nützlich sein,
Und warum bleibt Ihr so verborgen?
 
Meister
Man hat's bequemer heutzutag,
Als unter meine Zucht sich zu bequemen:
Das Lied, das ich so gerne singen mag,
Das mag nicht jeder gern vernehmen.
 
Schüler
O sagt mir nur, ob ich zu tadeln bin,
Daß ich mir diesen Mann zum Muster auserkoren?
(Er deutet auf das Bild, das er kopiert hat.)
Daß ich mich ganz in ihn verloren?
Ist es Verlust, ist es Gewinn?
Daß ich allein an ihm mich nur ergetze,
Ihn weit vor allen andern schätze,
Als gegenwärtig ihn und als lebendig liebe,
Mich stets nach ihm und seinen Werken übe?
 
Meister
Ich tadl' es nicht, weil er fürtrefflich ist;
Ich tadl' es nicht, weil du ein Jüngling bist:
Ein Jüngling muß die Flügel regen,
In Lieb' und Haß gewaltsam sich bewegen.
Der Mann ist vielfach groß, den du dir auserwählt,
Du kannst dich lang' an seinen Werken üben;
Nur lerne bald erkennen, was ihm fehlt:
Man muß die Kunst und nicht das Muster lieben.
 
Schüler
Ich sähe nimmer mich an seinen Bildern satt,
Wenn ich mich Tag für Tag damit beschäft´gen sollte.
 
Meister
Erkenne, Freund, was er geleistet hat,
Und dann erkenne, was er leisten wollte:
Dann wird er dir erst nützlich sein,
Du wirst nicht alles neben ihm vergessen.
Die Tugend wohnt in keinem Mann allein:
Die Kunst hat nie ein Mensch allein besessen.
 
Schüler
So redet nur auch mehr davon!
 
Meister
Ein andermal, mein lieber Sohn.
 
Galerie -Inspektor (tritt zu ihnen)
Der heutige Tag ist uns gesegnet!
O, welch ein schönes Glück begegnet!
Es wird ein neues Bild gebracht,
So köstlich, als ich keins gedacht.
 
Meister
Von wem?
 
Schüler
Sagt an, es ahnet mir.
(Auf das Bild zeigend, das er kopiert.)
Von diesem?
 
Inspektor
Ja, von diesem hier.
 
Schüler
Wird endlich doch mein Wünsch erfüllt!
Die heiße Sehnsucht wird gestillt!
Wo ist es? Laßt mich eilig gehn.
 
Inspektor
Ihr werdet's bald hier oben sehn.
So köstlich, als es ist gemalt,
So teuer hat's der Fürst bezahlt.
 
Gemaldehändler (tritt auf)
Nun kann die Galerie doch sagen,
Daß sie ein einzig Bild besitzt.
Man wird einmal in unsern Tagen
Erkennen, wie ein Fürst die Künste liebt und schützt.
Es wird sogleich heraufgetragen;
Es wird erstaunen, wer's erblickt.
Mir ist in meinem ganzen Leben
Noch nie ein solcher Fund geglückt.
Mich schmerzt es fast, es wegzugeben:
Das viele Gold, das ich begehrt,
Erreicht noch lange nicht den Wert.
 
(Man bringt das Bild der Venus Urania herein und setzt es
auf eine Staffelei.)
 
Hier! wie es aus der Erbschaft kam,
Noch ohne Firnis, ohne Rahm.
Hier braucht es keine Kunst noch List,
Seht, wie es wohl erhalten ist!
 
(Alle versammeln sich davor.)
 
Erster Meister
Welch eine Praktik zeigt sich hier!
 
Zweiter Meister
Das Bild, wie ist es überdacht!
 
Schüler
Die Eingeweide brennen mir!
 
Liebhaber
Wie göttlich ist das Bild gemacht!
 
Händler
In seiner trefflichsten Manier.
 
Inspektor
Der goldne Rahm wird schon gebracht.
Geschwind herbei! geschwind herbei!
Der Prinz wird bald im Saale sein.
 
Das Bild wird in den Rahmen befestigt und wieder aufgestellt.
 
Der Prinz (tritt auf und besieht das Gemälde)
Das Bild hat einen großen Wert;
Empfanget hier, was Ihr begehrt.
 
Der Kassier (hebt den Beutel mit den Zechinen auf den
Tisch und seufzet)
 
Händler (zum Kassier)
Ich prüfe sie erst durchs Gewicht.
 
Kassier (aufzählend)
Es steht bei Euch, doch zweifelt nicht!
 
Der Fürst steht vor dem Bilde, die andern in einiger Entfernung.
Der Plafond eröffnet sich; die Muse, den Künstler an der
Stand führend, auf einer Wolke.
 
Künstler
Wohin, o Freundin, führst du mich?
 
Muse
Sieh nieder und erkenne dich!
Dies ist der Schauplatz deiner Ehre.
 
Künstler
Ich fühle nur den Druck der Atmosphäre.
 
Muse
Sieh nur herab! Es ist ein Werk von dir,
Das jedes andre neben sich verdunkelt
Und zwischen vielen Sternen hier
Als wie ein Stern der ersten Größe funkelt.
Sieh, was dein Werk für einen Eindruck macht,
Das du in deinen reinsten Stunden
Aus deinem innern Selbst empfunden,
Mit Maß und Weisheit durchgedacht,
Mit stillem, neuem Fleiß vollbracht.
Sieh, wie noch selbst die Meister lernen!
Ein kluger Fürst, er steht entzückt.
Er fühlt sich im Besitz von diesem Schatz beglückt;
Er geht und kommt, und kann sich nicht entfernen.
Sieh diesen Jüngling, wie er glüht,
Da er auf deine Tafel sieht!
In seinem Auge glänzt das herzliche Verlangen,
Von deinem Geist den Einfluß zu empfangen.
So wirkt mit Macht der edle Mann
Jahrhunderte auf seinesgleichen:
Denn was ein guter Mensch erreichen kann,
Ist nicht im engen Raum des Lebens zu erreichen.
Drum lebt er auch nach seinem Tode fort
Und ist so wirksam, als er lebte:
Die gute Tat, das schöne Wort.
Es strebt unsterblich, wie er sterblich strebte.
so lebst auch du durch ungemeßne Zeit.
Genieße der Unsterblichkeit!
 
Künstler
Erkenn' ich doch, was mir im kurzen Leben
Zeus für ein schönes Glück gegeben,
Und was er mir in dieser Stunde schenkt!
Doch er vergebe mir, wenn dieser Blick mich kränkt.
Wie ein verliebter junger Mann
Unmöglich doch den Göttern danken kann
Wenn seine Liebste fern und eingeschlossen weint
Wer wagt es, ihn beglückt zu nennen?
Und wird er wohl sieh trösten können.
Weil eine Sonne ihn und sie bescheint?
So hab' ich stets entbehren müssen,
Was meinen Werken nun so reichlich widerfährt;
Was hilft's, o Freundin, mir, zu wissen,
Daß man mich nun bezahlet und verehrt?
O hätt' ich manchmal nur das Gold besessen,
Das diesen Rahm jetzt übermäßig schmückt!
Mit Weib und Kind mich herzlich satt zu essen,
War ich zufrieden und beglückt.
Ein Freund, der sich mit mir ergetzte.
Ein Fürst, der die Talente schaute.
Sie haben leider mir gefehlt;
Im Kloster fand ich dumpfe Gönner:
So hab' ich emsig, ohne Kenner
Und ohne Schüler mich gequält. —
 
(Hinab auf den Schüler deutend.)
 
Und willst du diesen jungen Mann,
Wie er's verdient, dereinst erheben,
So bitt' ich, ihm bei seinem Leben,
So lang' er selbst noch kau´n und küssen kann,
Das Nötige zur rechten Zeit zu geben!
Er fühle froh, daß ihn die Muse liebt,
Wenn leicht und still die frohen Tage fließen,
Die Ehre, die mich nun im Himmel selbst betrübt,
Laß ihn dereinst, wie mich, doch freudiger genießen!
 
(ENDE)