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Achim Museumspädagogik Hofmann 2019 26.9..023.jpeg|Pastor Juhl am Pult mit Klapheck, Segal, Bacon, (Assemblage) und Rainer
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"D<big>as Kreuz ist das zentrale Symbol des christlichen Glaubens.</big><br>
Es krönt die Kirchtürme und Kuppeln der Kathedralen, Bischof und Papst tragen es auf der Brust. Auf Gräbern steht es und an Feldwegen, auf Alpengipfeln und Altären. Es schmückt die Kleider der Damen, die Uniformen der Soldaten und Generale. In Gold und Silber, edelsteinbesetzt, kauft man es beim Juwelier. Als Bundesverdienstkreuz ist es in mehreren Klassen zu haben, für die großen und weniger großen Verdienste. Aus dem Galgen des Altertums ist ein Schmuckstück geworden, aus dem Schandmal ein Ehrenzeichen, aus einer Provokation ein geschmackvolles Bijou. Aus den Katakomben und Bethäusern ist es in die Boutiquen und Kaufhäuser gewandert. Das Kreuz ist wehrlos gegen seinen Mißbrauch. Kostbarkeit, Schönheit und Inflationäre Verbreitung haben das Unerträgliche erträglich, das Anstößige glatt gemacht. Die Wahrheit, die in dem Kreuz sich symbolisiert, verlor sich auf diesem Wege.<br>
Aufgabe der Kunst ist es, die Wahrheit zu sagen, die Schleier der Gewohnheit zu zerreißen, das Einmalige im Allgemeinen aufzuspüren, dem Formlosen Gestalt zu geben. Kunst, die nicht die Wahrheit sagen will, ist verlogen, ideologisch, ist Kitsch. Kitsch bedient Bedürfnisse, aber klärt nicht auf.<br>
Die Wahrheit über unser Jahrhundert ist, daß es ein Jahrhundert des Schreckens, des Terrors, des Todes und der Folter ist. Auschwitz und Buchenwald, Guernica, Hiroshima und Dresden, Vietnam und Guatemala sind die Signaturen unserer Zeit. Angesicht dieser Kreuzwegstationen geschundener Völker und gequälter Seelen ist religiöser Kitsch doppelt unerträglich. Ein religiöses Kunstwerk der Gegenwart, das die Grundtatsachen unserer Zeit aus dem Gedächtnis verliert, ist zeitlos im schlechten Sinne des Wortes, ist unmöglich im vollen Sinn des Wortes. Unterwirft sich religiöse Kunst dem Wunsch der Verdrängung und dem Diktat der Verklärung, so hat sie ihre Aufgabe verfehlt.<br>
Theodor W. Adorno hat nach dem Krieg die Frage gesteilt, ob es nach Auschwitz noch Gedichte, noch Kunstwerke geben könne. Die großen Künstler unserer Zeit haben diese Frage inzwischen mit gültigen Werken beantwortet.<br>
 
Arnulf Rainer, Österreicher, Jahrgang 1929, Autodidakt, benutzt für die lange Reihe seiner Kruzifikationen Überkommene, konventionelle Formeln. Häufig verwendet er Reproduktionen klassischer Kruzifix-Darstellungen, die er übermalend verfremdet, gelegentlich montiert er sein eigenes Porträt in das Kreuz.<br>
 
Dieses Kreuz ist aus billigstem Material zusammengeschlagen, Preßpappe und rohe Latten, Abfall: Ein Gang über die Mülldeponie, über den Schindanger der Zivilisation.<br>
 
Kostbarkeit, Einmaligkeit, Handwerkerfleiß, Zunftgeheimnis, das alles wird man hier vergeblich suchen. Dieses Kreuz zerstört, indem es montiert wird, zugleich seine eigenen kunsthistorischen Vorbilder und unsere durch diese Bilder geprägten Vorstellungen. Hier ist ein Künstler und Bilderstürmer zugleich am Werk. Indem dieses Werk unsere Sehgewohnheiten und Glaubensgewöhnungen zunichte macht, gibt es wieder den Weg frei für die Wahrnehmung des Entsetzlichen, das damals geschah und heute geschieht: Die Todesqualen und Schmerzen, von Menschen einem Menschen zugefügt.
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Rainer juhl poster.jpeg|
Achim Kelber Kunsthalle 1982.jpg| Zwischenspiel: Musikalische Übermalung von Bach live, analog zur farbigen Übermalung des Selbstporträts Kruzifikation von Rainer von Organist Kelber, St. Jacobi
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Das Kreuz als Zeichen des Hasses, der Unmenschlichkeit, des Sadismus. Der Haß auf das Humanum, auf den Menschen, auf den Menschensohn, der das Gesicht der Peiniger zur Häßlichkeit entstellt, findet seine Entsprechung in der gewollten Häßlichkeit dieser Kruzifikation. Der brutalen Gewalt des Kreuzigens entspricht die brutale Überwältigung unserer Sinne und ästhetischen Erwartungen, die von diesem Werk ausgeht. Dem Geschehen auf Golgatha ist die Kategorie des Schönen unangemessen. <br>
Nicht geht es darum, in Schönheit zu sterben und den Tod zu verschönen, wie es das Ideal der Antike war. Vielmehr stirbt auch die Schönheit am Kreuz. Das Kreuz ist das Ende aller ästhetischen Wege.<br><br>
 
Er hatte keine Gestalt noch Schönheit<br>
 
Wir sahen ihn, aber da war keine Gestalt,<br>
 
die uns gefallen hätte.<br>
 
Er war der Allerverachtetste und Unwerteste,<br>
 
voller Schmerzen und Krankheit.<br>
 
Er war so verachtet, daß man das Angesicht<br>
 
vor ihm verbarg.<br>
 
Darum haben wir ihn für nichts geachtet. (Jesaja 53)<br>
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So wie wir auf die Schönheit mit höchster Beachtung reagieren, so auf die Häßlichkeit mit tiefster Nichtachtung, mit Abscheu und Grauen. Das Gewicht dieses Kunstwerks liegt eben darin, daß es uns trotz seiner Häßlichkeit zum Hinsehen und zu hoher Aufmerksamkeit zwingt. Inhalt und Form sind eins geworden.<br>
 
Rot ist die Farbe des Blutes. Rot sind die Roben der Richter, Rot ist die Farbe des Feuers und der Gefahr, Rot ist die Farbe der Kaiserroben und rot ist der Mantel des Henkers ausgefüttert. Rot ist das Blut des Opfertieres.
Indem Arnulf Rainer dieses Kreuz mit Ochsenblutfarbe über und über rot anstreicht, übermalt und zudeckt, wird der alte, biblische Gedanke deutlich: Hier stirbt der Herrscher der Welt den Opfertod. Gott selbst stirbt am Kreuz. In Niedrigkeit und Verlassenheit. Um die Todesstunde Jesu verfinstert sich der Himmel, Nacht fällt über Golgatha. So ist es kein Zufall, sondern Zeugnis einer intensiven Auseinandersetzung mit dem Kreuz, wenn Rainer seine Kruzifikationen als Meditationen der Nacht verstanden wissen will.<br>
Er sagt: „Ich stehe selbst in Nacht, Finsternis und Nebel." Hier gibt einer in seinem Werk nicht mehr, als er selber hat und ist.<br>
 
Ich stehe selbst in Nacht, Finsternis und Nebel — damit ist die Situation des Menschen im Advent beschrieben. Bei Paul Gerhardt heißt es: „Ich lag in tiefster Todesnacht ...", bei Friedrich von Spee:<br>
 
O klare Sonn, du schöner Stern,<br>
dich wollten wir anschauen gern.<br>
O Sonn, geh auf, ohn deinen Schein<br>
 
in Finsternis wir alle sein.<br>
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Nicht ohne Grund begegnet im Alten und Neuen Testament das Doppelsymbol von Licht und Finsternis an zentralen Stellen: Die Schöpfung beginnt mit der Herausrufung des Lichtes gegen die Macht der Finsternis und des Chaos. Die Welt vor Erscheinung des Messias beschreibt der Prophet Jesaja: „Finsternis bedecket das Erdreich und Dunkel die Völker." Das wird Inder Weihnachtsgeschichte des Johannesevangeliums aufgenommen: „Das Licht scheint in der Finsternis. Die Hirten liegen in dunkler Nacht, als der Engel zu ihnen tritt, durch die Nacht folgen die drei Weisen aus dem Morgenland dem Stern nach Bethlehem, und schließlich läßt sich das Werk Jesu zusammenfassen in der mehrfach überlieferten Geschichte von der Heilung eines Blinden.<br>
 
Auch das Kreuz wiederholt mit optischen Mitteln diese Bildsprache von Licht und Finsternis, indem es Vertikale und Horizontale sich gegenseitig durchdringen läßt. Und dies ist der eine Inhalt des christlichen Glaubens: Die Überwindung der Nacht durch das Licht, die Verschränkung von oben und unten, die Geburt Gottes im Stall, der Stern in der Höhe und in der Tiefe die Krippe:<br>
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Das Ewge Licht geht da herein, <br>
 
gibt der Welt einen neuen Schein. <br>
 
Es leuchtet wohl mitten in der Nacht <br>
 
und uns des Lichtes Kinder macht. <br>
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Krippe und Kreuz aber entsprechen sich. Sie sind aus einem Holz gemacht.
Die Inkarnation Gottes im Menschen kommt erst mit dem Tode des Menschensohnes am Kreuz zum Ziel. „Der Glaube an einen In Niedrigkeit geborenen und am Schandpfahl gehängten Erlöser widerspricht allem, was Menschen sich überhaupt unter Gott vorstellen und wünschen" (Moltmann). Der gekreuzigte Gott und der Messias im Stall sind das Ende aller religiösen Wunschvorstellungen und religiösen Allmachtsphantasien des Menschen.<br>
 
Das Eingehen Gottes in die Welt des Menschen ist der Leidensweg Gottes. Gott ist nicht der apathische, in die Himmel entrückte Tyrann, als den ihn uns eine kranke, masochistische Phantasie so oft erscheinen läßt. Gott ist ein lel- dender Gott, den menschliches Leiden rührt und berührt, weil er selbst es erfahren hat. Gott ist auf seiten der Opfer, der Leidenden, weil er selbst Opfer ist. Nur indem Gott Mensch wird, kann er auch ein Gott für die Menschen sein. Das ist das bleibende Paradox, die bleibende Zumutung des christlichen Glaubens.<br>
 
Ich denke, man kann auch diesen zentralen Christlichen Gedanken in dem Kreuz von Arnulf Rainer noch angedeutet finden. Wenn seine Kruzifikationen auch allermeist als monochrome Schwarzbilder konzipiert sind, so ist ihnen doch gelegentlich eine zweite Farbe unterlegt. In diesem Falle ist die Blut-, Opfer- und Herrschaftsfarbe Rot mit einem Goldgrund unterlegt, der an einigen Stellen ganz an die Oberfläche tritt.<br>
 
Dieses Gold ist ein kunsthistorisches Zitat. In den biblischen Bildern des Mittelalters vertritt das Gold die himmlische, die göttliche Welt. Erst im Spätmittelalter verliert sich dieser objektivierende Goldgrund zugunsten naturalistischer Landschafts- und Interieurdarstellungen.<br>
 
Indem auch auf diesem Kreuz, das so wenig mit der Tradition gemein hat, sie geradezu zerstört, das Gold aufleuchtet, stellt es sich wieder in den größeren historischen und theologischen Zusammenhang. Dem Gold eignet nach mittelalterlicher theologischer Lehre eine besondere Lichtqualität, es ist selbst Träger des göttlichen Lichtes. Als ein Künstler, der sich intensiv mit mittelalterlicher Theologie und Mystik beschäftigt hat, weiß Arnulf Rainer dies alles, und es kann somit kein Zufall sein oder nur ästhetische Notwendigkeit, wenn auf seiner Kruzifikation der Goldgrund sichtbar wird. Ochsenblutrot und Goldgrund auf der geometrischen Form des Kreuzes, gestaltet aus wertlosen und ästhetisch abstoßenden Wegwerfmaterialien: Der Eingang Gottes in die Welt des Menschen, das Leiden Gottes und die sich vorkämpfende Hoffnung des Menschen, daß Dunkel und Leid und Tod ein Ende haben mögen — das darf man aus diesem Kunstwerk eines Zeitgenossen der zweiten Hälfte des Zwanzigsten Jahrhunderts herauslesen.<br>
 
In der christlichen Tradition wird Christus auch als der helle Morgenstern besungen:<br>
 
Die Nacht ist vorgedrungen, <br>
 
der Tag ist nicht mehr fern. <br>
 
So sei nun Lob gesungen<br>
 
dem hellen Morgenstern.<br>
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Das ist die Hoffnung des Christen im Advent. Es ist also eine Hoffnung, die
aus dem Dunkel kommt und die das Leiden nicht verdrängt oder als widergöttlich denunziert.<br>
Dem Paradox des christlichen Glaubens von der Ankunft Gottes bei den Menschen entspricht das Paradox der christlichen Hoffnung, daß auch im beschädigten Leben das gelungene Leben möglich ist. Daß die von uns selbst verursachten Schrecknisse und Alpträume ein Ende haben und zunichte werden, wenn der helle Morgenstern aufgeht.<br>
 
Hier muß das beschreibende, erklärende, objektive Sprechen ein Ende haben. Es verwandelt sich in die Sprache des Gebetes, es ist die der Hoffnung angemessene Sprechweise:<br>
 
Ich lag In tiefster Todesnacht, <br>
 
du warest meine Sonne,<br>
 
die Sonne, die mir zugebracht<br>
 
Licht, Leben, Freud und Wonne."<br>
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= Mit anderen Augen =
Peter Klaus Schuster, Kunst im Netzwerk<br>