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→VON DER TASCHE AUF DEN TISCH.
Und da sitze ich nun mit meinem Inneren. Es trifft mich immer wieder unvorbereitet bei seinen Ausbruchversuchen. Ich kann ihm nicht dazu verhelfen, wieder Äußeres zu werden. <br>
Ich bringe es ihm gegenüber zu kaum mehr als zu schmunzeln, zu grübeln, der alten Zeit nachzuhängen oder Geschwätzigkeit an den Tag zu legen, ich schlage die Möglichkeit, mir selbst als einem geschichtlichen und gesellschaftlichen Menschen zu begegnen, in den Wind. Dabei ist das Innere immer von außen hineingekommen. <br>
Das Äußere wird als Inneres gehortet, in unendlich vielen Bildern mit unendlich vielen Versatzstücken, unendlich vielen Nachbarschaftsverhältnissen.<br>
Es behält sich vor, jedes mit jedem zu verknüpfen, umzuschichten, abzulagern, umzupolen,
auszumisten. <br>Ich kann mir fast ausmalen, wie sehr das Innere dazu taugen könnte, um als das, was ich von der Welt bereits erfahren habe, jenes, was mir noch fehlt, verstehen zu helfen. Dazu sollte ich mein Inneres, diese Ansammlung von Eindrücken, Erinnerungen, Erlebnissen, Erfahrungen und Kenntnissen als einen Vorrat begreifen, mit dem ich im Sinne eines Nachschlagewerkes, einschließlich seiner Verweisungen, umzugehen lernen muss. <br>
Geht es mir doch darum herauszufinden, ob ich mich eigentlich noch selbst verstehe; ob ich mich wiedererkenne in dem, was ich - jetzt, vor einem Jahr, vor Jahrzehnten - gemacht habe, was ich gedacht und getrieben, geglaubt und gepredigt habe.<br>
Aber warum bin ich so zurückhaltend mit mir? <br>
Warum schiele ich immer nur auf das ferne Vorbild, das Leben an der Grenze? ein Leben, das sich durch großartige Taten und Erfindungen auszeichnet, durch Wagemut und Entdeckerfreude, den ganzen Einsatz von Leib und Seele; der Siedler, abgebrannt und ausgeraubt, die besten Freunde vom Sumpffieber weggerafft, fängt jedes mal von vorn an; das große Licht, das niemals so getroffen wird, dass es nicht in der Lage wäre, sich gleich die entsprechenden Gedanken zusammenzureimen, in Literatur; die öffentliche Person, die selbst nach Hinschlachtung der ganzen Sippe nicht davon abzubringen ist, verbliebenes Leben und Geld in Acapulco zu verjuxen? <br>
Ah! Solche Menschen können aus ihrem Leben erzählen, und es würde sich lohnen zuzuhören. <br>
<big>Aber man selbst?</big><br>
Worauf sollte man denn zurückkommen, wer sollte einem zuhören? einer bloß mittelmäßigen Existenz mit einer kaum von einander zu unterscheidenden Nummernabfolge von Erfahrungen: kein einziger Höhepunkt weit und breit, kein Schicksalsschlag, kein Hauptgewinn.
Alles Durchschnitt, aber dafür reichlich.<br>
Das Leben an der Grenze ist eindeutig. Eines ergibt sich aus dem anderen, der rote Faden durchzieht alle Bereiche der Existenz - auch wenn's im Grunde ein Hundeleben ist.<br>
Dem Leben im Mittelmaß fehlt dagegen die zwangsläufige Konsequenz. Der größere Zu-sammenhang hält sich verborgen. Die Fragen, die in einem solchen Leben zu beantwor-ten sind, stellen sich nicht mit dem Wechsel der Jahreszeiten, dem Zug der Vögel ein. Die müssen erst einmal herausgekramt und auf den Tisch gelegt werden.<br>
Zu solchen Fragen vorzudringen ist das Kernstück eines Lebens im Mittelmaß. Die Arbeit an deren praktischer Beantwortung, für die ich nur mein Alltagswissen anzubieten habe, kann sich zur Richtschnur entwickeln für alles, was ich tue. <br>
Dem Leben an der Grenze das Leben in der Tasche entgegenhalten! <br>
Nur wer sich auferlegt, sich selbst gegenüberzutreten und sich zum Gegenstand der Be-trachtung zu machen, kann Richtung in sein Leben bringen.<br>
=== DEINE KUNST, DAS UNBEKANNTE WESEN. ===