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= Blick in die Blätter =
<big>RENATE RAMASAMY</big> schreibt am 20./21. Dezember 1986 im Hamburger Abendblatt:
 
=== "Kunst im Netzwerk“: Computer als Kunsterzieher ===
 
Im Jahre 1897 schrieb Alfred Lichtwark, erster Direktor der Hamburger Kunsthalle und führender Vertreter der Kunsterziehungsbewegung, seine"Übungen in der Betrachtung von Kunstwerken". Mit der "Kunst im Netzwerk" will jetzt das Museum neue Wege der Interpretation von Bildern und Objekten vorstellen.<br>
 
Während der offizielle Trend in Richtung Repräsentation geht, gehen wir auf "Animation", sagt Achim Lipp, der als Leiter der Museumspädagogik die Ausstellung konzipiert hat. Animieren — über das Auge und nicht über den Kopf — sollen 120 Werke unterschiedlicher Epochen. Sie stammen aus dem Museum und von Leihgebern und wurden unter sechs Schwerpunkten in sechs Räumen — dem „"Netzwerk" — zusammengefasst.<br>
 
Der Besucher beginnt seinen Rundgang ausgerüstet mit einem Arbeitsheft, in dem jedes Kunstwerk verzeichnet ist, und einem Bleistift. Damit soll er jeweils neben den Abbildungen seine eigenen spontanen Eindrücke und Gefühle bei der Betrachtung der Bilder eintragen.<br>
 
Im Foyer wird unter dem Thema „Gliederzirkus" das zerstückelte Menschenbild dargestellt. Tony Craggs Indianer ("Blue skin") aus blauen Plastik-Abfall-Teilen steht dort ganz selbstverständlich neben Altmeisterlichem wie P. F. Albertis "Malerakademie", oder neben Goyas massakrierten Männern ("Große Heldentat mit Toten").<br>
 
Das Stichwort "Daphne" nimmt nach Marcanton Raimondis Werk "Apollo und Daphne" die Thematik der Verwandlung Daphnes in einen Baum auf. Ihm sind Objekte wie Timm Ulrichs "Natur-Teile" — drei Baumstämme mit Tarnfarben-Anstrich — ebenso zugeordnet worden wie die Vergewaltigung eines Balkens ("Umformer XXXIV") von Wolfgang Liesen.<br>
 
Der "Schutzmantel" betitelte Raum zeigt den Künstler, der meint, sich schützen oder sich prächtig machen zu müssen. Lovis Corinth erscheint in einem Selbstbildnis im martialischen Harnisch, Ernst Ludwig Kirchner drängt sich im gestreiften Mantel protzig vor sein bescheiden im Hintergrund angesiedeltes Modell, Rembrandt gefällt sich im pelzbesetzten Rock mit Säbel.<br>
 
Es ist ein Querschuss durch alle Jahrhunderte, mit dem Lipp „über die Augenwahrnehmung neue Bezüge schaffen will, in die man sonst kein Bild je gestellt hat". Kunstgeschichtliche Vorkenntnisse brauche man dazu nicht mehr.<br>
 
Wer sich dann noch sehend und schreibend durch die Netzwerk-Räume "Dies ist mein Leib", dem Motiv der Verwandlung und Verwundung, dem„"Mund der Wahrheit", von Ehebrecherinnen und männermordenden Frauen sowie "Gott und Geld" gekämpft hat, kommt in den aktuellen Teil der Ausstellung.<br>
 
Nach der Animation beginnt dort die Aktivierung des Besuchers und zwar mittels acht Computern der Firma IBM, die das Unternehmen mit einer halben Million Mark bezuschusst hat. In der zum Computer-Camp umfunktionierten Säulenhalle darf er nun seine Aufzeichnungen in Stichworten in den Computer eingeben. Dabei können die gesehenen Werke noch einmal — in hervorragender Qualität — auf den Bildschirm geholt werden und man kann abrufen, womit die Vorgänger den Computer gefüttert haben. Das Ganze passiert streng anonym, für den Datenschutz ist gesorgt.<br>
 
Diese Schau sei nicht für jene gedacht, die sowieso keine Schwierigkeiten haben, mit Kunst umzugehen, sagt Lipp. Wer vor einem Goya stundenlang meditieren kann, bitte. Es geht hier um die jungen Leute, denen wir immer von unserem kulturellen Erbe erzählen und die sagen "ich lach' mich schlapp“. Die sonst nicht durchs Museum stiefeln, sondern ihre Erfahrungen mit Video-Clips sammeln. Erstaunlich ist zumindest die Begeisterung und Geschicklichkeit, mit der schon 12jährige Schulkinder am Bildschirm operieren — und die können es am besten.<br>
 
"Junge Leute haben andere Rezeptionsformen entwickelt", sagt Achim Lipp. "Wir dürfen den Anschluss nicht verlieren. Während Kunst bisher von Museumsleuten verwaltet wurde, findet hier eine <big>Rückeroberung durch das Publikum</big> statt."<br>
 
Einer jedoch kritisiert dieses Konzept: Klaus Brunnstein, Professor für Anwendung der Informatik in Hamburg, sieht hier die Grenzen des Computers in der Kunst überschritten: Computer nur als Gag, um die Leute ins Museum zu locken, das erinnert fatal an jene pädagogische Masche der 60er Jahre, wonach ein Computer der bessere Lehrer sei. Auch im Museum aber ist der "Computer als Lehrer" ungeeignet. Ich bezweifle, dass man seine Ansichten und Gefühle über ein Bild tatsächlich auf eine Menge ungeordneter, beziehungsloser Schlagwörter reduzieren kann."<br>
 
Abb.: Friederike Petzolds „Videoskulptur aus 5 TV-Elementen“ mit einem verrutschten Körper
 
 
 
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Kunst im Netzwerk museumsheft.jpg|in der museumseigenen Publikation